Die Amtszeit des
Bürgermeisters Schneider
1850 - Sept. 1855
Seine Zeitgenossen waren:
Schullehrer Adam Dörr
Schulinspektor Metropolitan
Klingelhöfer in Treis an der Lumda
Landrat Rohde in Marburg
Landbaumeister Regenbogen in
Marburg
Polizeidirektor Saukel in
Marburg
Die Schule
Gleich zu Beginn seiner
Amtszeit packte Schneider das leidige Thema Schule energisch an. Weil das Schulhaus so baufällig war, wohnte der
Schullehrer Dörr nicht mehr in der Dienstwohnung, er hatte das Haus
verlassen. Das mag wohl der Auslöser
dafür gewesen sein, daß Schneider Anfang Dezember 1850 das kurfürstliche
Verwaltungsamt um die Genehmigung zur Errichtung eines neuen Schulhauses bat. Er ließ auch vom Landbaumeister Regenbogen
ein Verzeichnis des benötigten Bauholzes anfertigen, um es auf dem nächsten
Holzschreibetage vorzulegen, damit das Holz im Jahre 1851 aus dem
Mitgebrauchswalde gefällt werden konnte.
Der Mitgebrauchswald
Bei
dem harten Existenzkampf der damaligen Zeit waren die Bauern auf Waldpflege und
Waldnutzung angewiesen. Der
Mitgebrauchswald gehörte der Herrschaft und der Gemeinde Sichertshausen. Nutzungsrechte hatten 33 Einwohner, das
waren bestimmte, alteingesessene Familien, deren Zahl sich nie veränderte (die
Gemeindsleut), ferner die Gemeindeverwaltung und die Herrschaft. Die 33
Nutzungsberechtigten hatten anteilmäßig folgende unentgeltlich zu leistenden
Pflichten: Spanndienste, Pflanzarbeiten und Wegebauarbeiten. Auf dem Mitgebrauchswalde ruhten folgende
Gerechtsame für die Gemeinde Sichertshausen und die 33 Gemeindsleut.
A.
Holzentnahme
Die
Gemeinde erhielt forstfrei Holz für Gemeindebauten wie Kirche, Schulgebäude,
Backbaus, Spritzenhaus, Brücken, Stege.
Werkholz für Kirchenstühle, Schulbänke, Schultafeln. Brennholz zum Ausglühen des Backhauses, zum
Heizen der Amtsstube, der Schulstube, der Wachtstube, für den Bürgermeister, den
Schweinehirten.
Die
33 Nutzungsberechtigten erhielten forstfrei Bauholz für Haus, Scheuer,
Stallung, Reparaturholz für Bauten, Achsenholz für die Bauernwagen, außerdem Leseholz.
Epistelholz
gab es forstfrei für den Lehrer und den Kastenmeister.
B.
Viehhute
Sie
war für die Gemeinde (Gemeindsleut) mit Rindvieh, Schweinen, Schafen und Gänsen
unentgeltlich während der Vormast (das ist die Zeit, in der die Eckern und
Eicheln fallen) und Nachmast.
C.
Streuzeug
Die
Nutzungsberechtigten konnten Waldstreu, Laub, Heide und Moos kostenlos aus dem
Walde holen. Ein altes Übereinkommen besagte,
daß sämtliche Waldentnahmen nur für eigene Zwecke verwandt werden durften.
Anordnungen im Walde
In
den Hegen sollen keine Gänseweiden und Viehhüten angelegt werden. Der Wald ist nur an zwei Tagen
in
der Woche frei zum Holzlesen. Wer
außerhalb der gestatteten Lesetage im Walde angetroffen wird, erhält eine
Strafe. Die Wege, die der Förster zur Holzabfuhr
angibt, sind genau einzuhalten, damit die Frevler nicht so leicht entkommen
können.
Waldfrevel
In
Zeiten der Armut nahm der Forstfrevel erheblich zu. Mitunter zogen ganze Gruppen von Holzfrevlern mit Sägen, Äxten
und Wagen in die Wälder. Förster gingen
gegen sie mit der Waffe vor oder brachten viele Leute zur Anzeige.
Planung eines neuen
Schulhauses
Der Ortsvorstand begann das
neue Jahr mit viel Schwung und Energie.
Die Aufstellung über das benötigte Bauholz war bereits bei Regenbogen
angefordert, am 6. Januar 1851 wurde Klingelhöfer um Meldung der Schülerzahlbewegungen
der letzten 10 Jahre gebeten, er sollte auch ein Gutachten über die Größe des
benötigten neuen Schulsaales abgeben.
Am 5. Feburar 1851 meldete Schneider dem Verwaltungsamt, daß das neue
Schulhaus auf dem Platz des alten Schulhauses errichtet werden sollte. Es könne nicht neben das alte Schulhaus
gestellt werden, dort fehlten noch ungefähr 4 Ruten (1 Rute = ca. 20 qm) Land,
der Grundbesitzer gebe es aber nicht her, weder käuflich noch im Tausch.
Am 18. März 1851 fand eine Lokalbesichtigung durch
Schneider und Regenbogen statt. Der
Bürgermeister hatte zwei Vorschläge ausgearbeitet:
1. Vorschlag: Das alte Schulhaus bleibt stehen, das neue
wird dahinter errichtet. Der Nachteil
dieses Vorschlags: Der Neubau kommt außerhalb der Häuserreihe zu stehen. Außerdem erstreckt er sich zu weit in den
Totenhof hinein.
2. Vorschlag: Neben dem Schulhause liegt der Garten der
Erben des Konrad Schmidt (der Vormund darüber ist Heinrich Schmidt in
Argenstein). Die Gemeinde soll ein
Stück dieses Gartens erwerben. Dazu
käme ein Teil des Platzes neben dem jetzigen Schulhause sowie der Platz des
Stallgebäudes. Das alles würde den
benötigten Baugrund ergeben. Die
Vorteile dieses zweiten Vorschlages: Das Schulhaus würde frei und sonnig
stehen, der Eingang zum Kirchhof würde der Kirchentür genau gegenüber liegen,
der Schullehrer würde einen größeren Hofraum erhalten, auf welchem sich das
Wirtschaftsgebäude, angelehnt an die Mauer des Nachbarhauses, errichten ließe.
Verzicht auf den Schulhausneubau
Am 10. April 1851 erklärte Schneider
dem kurfürstlichen Verwaltungsamt den Verzicht auf den Neubau. Er entwickelte folgende Gedanken:
Der Neubau scheitert an der
finanziellen Situation. Wie allgemein
bekannt, sei die »Gemeindekasse sehr schlecht beschaffen«. Die neue Eisenbahnlinie habe die Frequenz
der durchziehenden Frankfurter Landstraße zur Bedeutungslosigkeit gedrückt, so
daß Sichertshausen immer weiter verarme.
Sichertshausen könne nur auf
dem Tauschwege zu einem neuen Schulhaus kommen. Ein Tauschpartner sei schon gefunden, nämlich Johannes
Stingel. Nur verlange er aber als
Zugabe 700 Taler. Die Einrichtung des
Stingelhauses zum Schulhaus würde weitere Unkosten verursachen. Die Gemeinde sehe die einzige
Finanzierungsmöglichkeit darin, daß sie das ihr zum Schulneubau zustehende
Bauholz aus dem Mitgebrauchswalde erhalten würde und »versilbern« dürfte.
In den nächsten Tagen wurden
Gutachten und Stellungnahmen von Regenbogen, Dörr und Klingelhöfer eingeholt,
die alle positive Ergebnisse brachten.
Das Stingelhaus Nr. 23 sei von guter Bausubstanz und als neues Schulhaus
geeignet. Da man pro Kind mit 5
Quadratfuß rechne (einschließlich des Platzes für Ofen, Lehrerpult und die
Gänge), wäre die neue Schulstube mit einer Fläche von 339 Quadratfuß zur
Aufnahme von 62 Schülern geeignet. Die
Schülerzahl würde aber bald abnehmen, weil eben viele fremde Kinder die Schule
besuchten. In Sichertshausen wohnten
etliche Angestellte mit ihren Kindern, sie würden aber demnächst
wegziehen. Und mit einem Zuzug neuer
Angestellter sei »nicht zu rechnen wegen des beinahe gänzlichen Aufhörens der
Chaussee«.
Post, Verkehr und Straßenbau
Die
Post in Hessen wurde in der Reformationszeit begründet. Das bedeutete einen großen Fortschritt, denn
vorher war das Reisen fast nur zu Fuß möglich, die Lohnfuhrwerke befanden sich
in einem miserablen Zustand, und eine Reise zu Fuß dauerte lange und war häufig
gefährlich. Landgraf Karl von Hessen (1677-1730)
baute die Post vorzüglich aus. Anfangs war die Post ein vom Fürsten
genutztes Hoheitsrecht.
Im Jahre 1816 wurde der Fürst von Thurn und
Taxis kurhessischer Erb-Landpostmeister. In der Zeit zwischen 1720 und 1740
legte man Wege an, die noch keinen festen Untergrund hatten und deshalb die
Bezeichnung Straße nicht verdienten. Schwere Hamburger Planwagen verursachten
mitunter beträchtliche Wegeschäden.
Im Jahre 1784 erfolgte der Bau der
»Chaussee« - man sagte auch »Amtsstraße« oder »Kunststraße« - zwischen Gießen
und Marburg. Sie verlief ohne Kurven
und überquerte die Tiefenbach mit einem kleinen Damm. Die Sichertshäuser hatten den Ausbau des Teilstückes beim Dorf zu
übernehmen. Weil die Straße einen festen
Untergrund erhielt, kamen jetzt die schweren Frachtwagen und der Postwagen gut
voran, und Sichertshausen war damit an das damalige Verkehrsnetz angeschlossen.
- Nun wurde ein Zauber der Landstraße ausgelöst: zwei- oder vierspännig fuhr
die Post durch das reizvolle Lahntal, der Postillion blies seine munteren
Weisen, ihm antwortete der Wandersmann.
In späterer Zeit (1913) wurde durch eine Regierungsverordnung
aus Kassel verfügt, daß Bellnhausen und Sichertshausen unbedingt gegen
landschaftliche Verunstaltungen zu schützen seien, man rechnete diese beiden
Gemarkungen zu den landschaftlich hervorragenden Gegenden. Es war ein hübsches Bild, als Kaufleute und
Gewerbetreibende durch Bellnhausen mit seiner wichtigen Poststation und durch
Sichertshausen nach Frankfurt zogen oder von dort zurückkamen. Manches Fuhrwerk hielt vor dem Gasthaus an,
die Leute wurden verpflegt, man tauschte Nachrichten aus. (37)
Als
nach 1800 französische Armeen in Deutschland weilten, ließ Napoleon die
Chaussee noch weiter ausbauen, befestigen und bepflanzen, er brauchte für seine
Truppenbewegungen gute Straßen. Nach
Beendigung der napoleonischen Freiheitskriege hatten alle Straßen erheblich
gelitten, nun mußten die Sichertshäuser das Teilstück bei ihrem Dorf
reparieren.
Bald
setzte ein allgemeiner Wirtschaftsaufschwung ein, der Frachtverkehr durch
Sichertshausen verstärkte sich. Bis zum
Eisenbahnbau um 1850 bot die Straße vielen Einwohnern einen Verdienst. Nicht nur die Gastwirte hatten ihr
Einkommen, sondern auch alle die Handwerker und Kaufleute, die sich um den Fracht-
und Fuhrverkehr kümmerten.
Die
Eisenbahn, in den Anfängen abgelehnt, umkämpft, aber auch bejaht, war der
entscheidendste Faktor der beginnenden Industriealisierung. 1846 wurde mit dem
Bau der Main- Weser-Bahn begonnen, die Bauarbeiter verdienten einen recht hohen
Tageslohn von 36 bis 42 Kreuzer.
Am
25. August 1850 befuhr der erste Zug
die neue Strecke zwischen Gießen und Marburg, der Frachtverkehr verlagerte sich
nun von der Straße auf die Schiene.
Zurück zur Schule. Die Verwaltung in Marburg begrüßte die Initiative der
Sichertshäuser, durch Tausch doch noch zu einem etwas besseren Schulhaus zu
kommen. Es mußten aber vorher folgende
Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt werden:
Das Forstamt mußte den
Verkauf des Holzes genehmigen.
Das Konsistorium mußte auf
ein Stück des Totenhofes verzichten, was allerdings zu vertreten war, denn
dieser Platz war so feucht, daß er zu Gräbern nicht benutzt werden konnte. Er befand sich hinter dem Schulhause und
wurde bisher vom Lehrer als Hofraum genutzt.
Das Konsistorium forderte
einen Situationsplan mit der Fläche des Totenhofs, dessen Abtretung gewünscht
wurde.
Landrat Rohde gab den
Auftrag an Bürgermeister Schneider weiter und verlangte diesen Situationsplan,
»welchen wohl der Schullehrer oder der Straßenwärter Will anzufertigen imstande
sein dürfte«.
Es ist uns leider nicht
bekannt, wer den Plan gezeichnet hat.
Rohde schickte ihn ans Konsistorium und schrieb dazu: »Wenn der
Situationsplan auch nicht von einem Kunstverständigen angefertigt worden ist, so
ist er doch richtig. Die Tiefe des
abzutretenden Raumes hinter dem Schulhause verhält sich richtig. Ein Stallbau, weicher sich daneben befindet,
wird abgebrochen und dadurch Grundfläche für den Totenhof wieder gewonnen«.
Das Konsistorium genehmigte
die Abtretung der Parzelle von 67 Fuß Länge und 34 Fuß Breite unmittelbar neben
dem bisherigen Schulhause. Auf dieser
Parzelle konnte die neue Scheuer erbaut werden. Sollte man bei der Grundsteinlegung auf Reste noch nicht ganz
verwester Körper stoßen, so hatte die Gemeinde für deren würdige Beisetzung auf
dem Kirchhofe zu sorgen. Ferner mußte
sich die Gemeinde verpflichten, eine 4 Fuß hohe Mauer um den Kirchhof
herzustellen, versehen mit einer Staketenwand.
Die Gemeinde Sichertshausen akzeptierte alle Auflagen und schloß am 12. Mai 1851 folgenden Vertrag mit den Eheleuten Johannes Stingel und dessen Ehefrau Elisabetha geb. Orth, die ihr bisheriges Wohnhaus Nr. 23 gegen das bisherige Schulhaus Nr. 38 tauschten:
Tauschvertrag
geschehen Sichertshausen,
den 12. Mai 1851
Zwischen den
Gemeinderatsgliedern Heinrich Lepper, Adam Greif und Ausschußvorsteher Heinrich
Gilbert und Bürgermeister Schneider namens der Gemeinde einerseits und den
Einwohnern Johannes Stingel und dessen Ehefrau Elisabetha eine geborene Orth
andererseits wird folgender Vertrag verabredet:
§1
Der Einwohner Johannes
Stingel und dessen Ehefrau vertauschen ihr eigenes Wohnhaus Nr. 23 mit
Stallung, Hofraum, Garten dabei, wie es sich in dem Steuerbuchsauszug befindet,
an die Gemeinde daselbst zum neuen Schulhaus mit dem, was sich in den Gebäuden
mit Mauer und nageltest befindet.
§ 2
Die Gemeinde vertauscht ihr
altes bisheriges Schulhaus Nr. 38 mit dem, was sich darin in Mauer und
nageltest und mit einem abgemessenen Bauplatz wie es sich nach einer Vermessung
befindet, an den Einwohner Johannes Stingel und dessen Ehefrau Elisabetha
geborene Orth, und die Gemeinde zahlt an den genannten Stingel Sieben Hundert
Taler und zahlt alle Kosten, die entstehen zu diesem Tausch, mithin wird dieser
Vertrag von beiden Seiten genehmigt und unterschrieben.
gez. 6 Unterschriften (2)
Am 22. Juni 1851 meldete der Bürgermeister
Schneider dem kurfürstlichen Verwaltungsamt den erfolgreichen Abschluß der
Tauschaktion zum Erwerb eines neuen Schulhauses:
Die Gemeinde hat Bauholz
zurückgehalten, um einen Stall beim getauschten Hause zu bauen und das
eingetauschte Wohnhaus zur Schule einzurichten. Der Rest des Bauholzes ist verkauft worden für 304 Thlr. 16 Sgr.
Die Gemeinde hat das bisherige Schulhaus nebst abgemessenem Platz daneben an
Stingel für 300 Thlr. verkauft. Also müssen an Stingel noch 700 Thlr. gezahlt
werden. Davon gehen ab der Erlös vom
Verkauf des Bauholzes 304 Thlr. 16 Sgr. Somit bleibt eine Schuld von 395 Thlr.
14 Sgr., die an Johannes Stingel verzinst werden muß. Der Erwerb des neuen
Schulhauses hatte die Gemeinde an die Grenze der finanziellen Belastbarkeit
gebracht.
Am 8. Juli 1851 sah sich Schneider gezwungen, darum zu bitten, die
Herstellung der Mauer um den Kirchhof um ein Jahr verschieben zu dürfen. Die augenblickliche Teuerung zwinge ihn
dazu. Im Umkreis von nur einer Stunde
gab es viele Bauvorhaben, nämlich die neue Lahnbrücke bei Ruttershausen, die Eisenhütte
in Lollar und das v. Rabenausche Schloß in Friedelhausen. Die Maurer hatten daher Vollbeschäftigung,
bei der Teuerung der Lebensmittel war ihr Tagelohn sehr hoch, und die Gemeinde
konnte sie nicht bezahlen.
Pflastern des Schulhofes
Im Sommer 1852 wuchs sich
die Frage der Pflasterung des neuen Schulhofes zum Problem aus. Ursprünglich wollte die Gemeinde die
Pflastersteine vom ausgewanderten Heinrich Hilberg ankaufen. Da sich diese Möglichkeit zerschlagen hatte,
mußte überlegt werden, wo die etwa 50 Kubikhaufen Steine sonst bezogen werden
sollten, drei Möglichkeiten standen zur Wahl:
Aus dem Steinbruch des
Forstortes Ungeheuerbach des Mitgebrauchswaldes. (Dieses Waldstück links des
Treiser Weges wird so genannt, weil dort in früheren Zeiten ein Ungeheuer, ein
gefährlicher Keiler sein Unwesen getrieben haben soll (26». Dort gab es weißen Sandstein von der
festesten Sorte. Der Preis für 50
Kubikhaufen Steine betrug im Brecherlos 6 2/3 Taler. Die Steine konnten ohne Kosten für die Gemeinde durch Handdienste
gebrochen werden.
Aus dem Heigerberge konnte
man Basalt beziehen, ebenfalls aus dem Steinbruch bei Staufenberg. Dort hätte man 1 0 Taler zu zahlen,
zuzüglich den Lohn für das Brechen.
Grauwacke konnte vom
Geiersberg bei Bellnhausen zum Preise von 6 2/3 Taler plus Brecherlohn geholt
werden.
Die Pflasterarbeit war zum
Preise von 18-20 Taler bereits verakkordiert worden. Nach vielen Überlegungen, Beratungen und Besprechungen entschied
sich der Ortsvorstand für den weißen Sandstein, weil der Schulhof ja wenig
befahren wurde, und so sparte die Gemeinde mindestens 30 Taler. Es wäre sinnlos gewesen, durch eine Umlage
zu dem notwendigen Gelde kommen zu wollen, denn die Sichertshäuser waren so
arm, daß die Umlage bei vielen nur durch gerichtliche Hilfe hätte beigetrieben
werden können.
Am 9. Dezember 1852 meldete
Schneider dem Landratsamt den Abschluß der Arbeiten im Schulhause und die
Vollendung der Pflasterung des Schulhofes.
Er bat, technische Überprüfung zu veranlassen, da der Pflasterer auf
Bezahlung der Akkordsumme dränge.
Die überprüfende Baubehörde
war gar nicht zufrieden, sie stellte folgende Mängel fest: Viele der im
Kostenanschlag aufgeführten Arbeiten waren nicht ausgeführt. Ölanstriche waren nicht bzw. nicht gehörig
vorgenommen worden. Der Ölanstrich am
Tor des Totenhofes war noch nicht ordnungsgemäß hergestellt. Die 4 Fuß hohe Mauer zur Befriedung des
Totenhofes mit Staketenwand war noch nicht vorhanden. Schneider bekam vom
Landratsamt einen Rüffel und mußte binnen 14 Tagen die Beseitigung der Mängel
anzeigen.
Wer gehofft hatte, daß mit dem
Erwerb und der Einrichtung des neuen Schulhauses optimale schulische
Verhältnisse in Sichertshausen eingetreten waren, der sah sich getäuscht. Durch das Pflastern des Schulhofes war der
Schweinestall in eine zu tiefe Lage geraten, eine neue Tür wurde notwendig, und
die Wände der Schweinebuchten mußten erneuert werden. Seit Dezember 1852 konnte der Schullehrer Dörr diesen Stall für
seine Tiere nicht mehr benutzen.
Stattdessen hatte er sich
mit einem unter der kleinen Stube befindlichen Ställchen behelfen müssen. Dieser Ort lag zur Hälfte in der Erde, war
nur 4 Fuß hoch, und der Eingang hatte kaum 3 Fuß Höhe (1 Fuß = ca. 36 cm). Eine gesunde Tierhaltung war hier nicht möglich. Dörrs Klageliste ans kurfürstliche
Landratsamt ging aber noch weiter: Das Dach des Hühnerhauses mußte mit Brettern
befestigt werden, damit in Zukunft keine Raubtiere mehr einbrechen konnten.
Die Schlösser an der
Schulhaustür und an der Wohnstubentür funktionierten nicht. Vor die Fenster der Küche und der darüber
befindlichen Kammer mußten eiserne Stäbe angebracht werden. Dieser Schutz vor Einbruch sei notwendig,
weil das Schulhaus an einer exportierten Stelle am Ende des Dorfes stehe, und
die Fenster befänden sich auf der Seite nach dem Felde zu.
Dieses Mal dauerte es nicht
sehr lange, bis der Bürgermeister die Ausbesserung der Schäden meiden
konnte. Nur auf die Reparatur des
Hühnerhauses ließ sich die Gemeinde nicht ein, das sei Privatsache des
Schullehrers.
Die
Baukommission
War ein Gebäude baufällig,
so ließ man es durch die Baukommission besichtigen. Entweder wurde die Notwendigkeit des Neubaus anerkannt, oder der
Bau wurde zurückgestellt. Im Jahre 1851
reichte aber das gefällte Bauholz nicht für alle bewilligten Gebäude, und so
ließ der Revierförster Wiegand, der auf dem Forstrevier Sandberg wohnte, vom
Ortsvorstand vorschlagen, wer den Neubau am nötigsten habe.
Am 22. Mai 1852 klagten die
Gemeindenutzungsberechtigten Johannes Geißler und Balzer (Balthasar) Gilbert
auf dem Landratsamt, daß der Ortsvorstand ihnen Eichenbauholz aus dem
Mitgebrauchswalde vorenthalte. Der
Ortsbürger Heinrich Gilbert werde ihnen vorgezogen, obwohl dessen Scheuer ein
Jahr später als ihre Gebäude als baufällig anerkannt worden sei. Beide hätten wohl Verständnis, wenn die arme
Witwe des Konrad Jungermann ihnen vorgezogen würde, die sich ebenfalls
beklagte, daß man ihr Eichenbauholz vorenthalte. Sie gehöre zu den Gemeindenutzungsberechtigten. Ihr Wohnhaus und ihre Scheuer hätten schon
vor langer Zeit eines Neubaues bedurft, doch die armen Vermögensverhältnisse,
in welchen sie mit ihrem jetzt verstorbenen Mann gelebt hatte, hätten sie davon
abgehalten, das Bauvorhaben zu beginnen.
Vor allem das Wohnhaus wurde immer baufälliger, und jetzt sei es dem
Einsturz nahe.
Ihr Mann starb im Februar
1851 und konnte den geplanten Neubau nicht mehr verwirklichen. Ihr Wohnhaus gehöre zu den baufälligsten
Gebäuden des Ortes. Auch lebe sie in
ärmlichsten Verhältnissen, sie mußte wegen Verschuldung nach dem Tode ihres
Mannes mehrere Grundstücke verkaufen.
Andere Ländereien hätte sie verpachtet, um die nötigen Kapitalzinsen
herauszubringen. Drei ihrer Kinder
müßten ihr Brot bei anderen Leuten verdienen, und zwei habe sie noch mit ihrem
Tagelohn zu ernähren. Wenn ihr
Gebäudejetzt zusammenstürzen würde, so würde sie als Obdachlose der Gemeinde
zur Last fallen, und außerdem hätte die Landeskreditkasse, der das Haus
verpfändet sei, einen Schaden.
Am 11. April 1853 kam es
wegen Bevorzugung des Ausschußvorstehers Heinrich Gilbert bei der Holzzuteilung
zum Prozeß. Johannes Geißler und
Balthasar Gilbert klagten gegen die Gemeinde wegen Verweigerung von Bauholz.
Unter solchen Verhältnissen
litt die Atmosphäre im Dorf.
Bürgermeister Schneider bedauerte am 5. Mai 1853, der Ortsvorstand könne
sich bei seiner Arbeit zum Wohle der Gemeinde noch so viel Mühe geben, aber
durch die großen Streitigkeiten und die Feindschaft, die im Dorf herrschten,
könne nichts zustande gebracht werden.
Wurden Versammlungen einberufen, so konnte nie Einigkeit erzielt werden.
(25)
Zwei Monate später ging der
Ärger weiter. Weil die Witwe des Konrad
Jungermann des Schreibens unkundig war, verfaßte der Schullehrer Adam Dörr für
sie am 20. Juni 1853 eine Eingabe an das
Amt in Marburg. Es ging um die
Zehntablösung. Die Witwe war das
36. Mitglied im Kreise der
Zehntberechtigten. Im Jahre 1849 hatten
die Zehntberechtigten mit den Zehntpflichtigen eine Obereinkunft geschlossen,
wonach die Witwe 180 Taler Zehntablösungskapital zu bekommen hatte. Bis zum Ende des Jahres 1851 wurde die
Berechnung, der Vergleich, die Einnahme und die Auszahlung durch den
Gemeindevorstand vorgenommen. Aber von
diesem Zeitpunkt ab wurde dem Rechnungsführer Johannes Stingel aufgetragen,
alle noch rückständigen Beiträge bis Ende Juni 1852 von den Zehntpflichtigen zu
erheben und an die Zehntberechtigten auszuzahlen.
Die Witwe war nicht nur
zehntberechtigt, sie war auch zehntpflichtig und schuldete 18 Taler 22
Silbergroschen 5 Heller. Diese Schuld
verrechnete sie und wollte vom Rechnungsführer statt der 180 Taler nur noch 161
Taler 7 Silbergroschen und 7 Heller haben.
Der aber konnte das Geld nicht herbeischaffen. Darum klagte die Witwe vor dem Verwaltungsamt in Marburg. Sie konnte es nicht verstehen, daß der
Rechnungsführer einerseits ihre Schuld gerichtlich anmahnen wollte,
andererseits das ihr zustehende Zehntanteilsgeld aber verweigerte.
Die Witwe wollte das Geld
zum Bau des Wohnhauses verwenden, nachdem man ihr schon das Bauholz zugewiesen
hatte. Um ihr Geld zu erhalten, erbat
sie die Hilfe des Verwaltungsamtes. Sie
wollte das Kapital und die Zinsen ausbezahlt bekommen. Der Bürgermeister erhielt umgehend eine
Anfrage von der Behörde. Er wehrte
sich, die Zehntberechtigten seien Privatpersonen, der Ortsvorstand und die
Gemeindekasse hätten mit dieser Sache nichts zu tun. Er bezweifelte, ob Adam Dörr in der Lage sei, die Witwe als arm
zu erklären. Schließlich habe sie ihr
Grundvermögen verpachtet und beziehe Zinsen.
Und er konnte die Stichelei nicht lassen, vielleicht habe Dörr diesen
Brief für sie nur geschrieben, »weil sie ihm viel Gefälligkeit leistet«. (60)
Die Mauer am Totenhof
Ursprünglich hatte sich die
Gemeinde im Jahre 1851 verpflichtet, zur Befriedung des Totenhofes eine 4 Fuß
hohe Mauer mit Staketenwand zu errichten.
Auf Gemeindeantrag wurde die Ausführung des Baus um ein Jahr
hinausgeschoben. 1853 trug die Gemeinde wieder eine Bitte vor, nämlich der
Kostenersparnis wegen nur eine 6 Fuß hohe Mauer ohne Staketenwand aufführen zu
dürfen. Landratsamt und Konsistorium
genehmigten diese Änderung. Aber es kam
immer noch nicht zum Bau der Mauer. Im
Juni 1854 beantragte Schneider bei der Polizeidirektion in Marburg eine
Verlängerung der Frist um ein Jahr: »In dieser traurigen Zeit müßten viele
geringe Ortsbürger ihren Beitrag dazu geben, und das wäre schlimm, denn dazu
müßten sie selbst Brotschulden machen, um ihre Familien ernähren zu können.«
Obwohl Klingelhöfer
zugestimmt hatte, lehnte Polizeidirektor Saukel ab und verlangte bei 1
Silbergroschen Strafe, am 15. Juli 1854
über den Stand der Arbeiten zu berichten.
Aber es geschah immer noch nichts, und in Sichertshausen erfolgte ein
Bürgermeisterwechsel. (2)
Auswanderung nach Amerika
Der Musketier Heinrich Findt
aus Sichertshausen diente beim III.
Infanterieregiment. Weil er nach
Amerika auswandern wollte, bat er um Entlassung vom Militär. Das kurfürstliche Kriegsministerium in
Kassel genehmigte das Gesuch am 26.
Februar 1850. Daraufhin erhielt
Findt vom Regimentskommando den Abschied.
Nun war er wieder Zivilist und reichte als Dienstknecht ein Gesuch um
Entlassung aus dem kurhessischen Untertanenverband (wir sagen heute
Staatsbürgerschaft) an das Verwaltungsamt in Marburg ein. Er erklärte, daß er ein Vermögen von 67
Gulden bei seinem Bruder Kaspar Findt in Sichertshausen liegen habe, welches er
bei seiner Abreise erhalten würde.
Außerdem habe er noch 60 Gulden bar vorrätig, so daß er im Besitze der
erforderlichen Reisemittel sei.
Findt wurde am 22. März 1850 aus dem Untertanenverbande
entlassen und mußte eine Verwaltungsgebühr von 28 Silbergroschen und 2 Heller
bezahlen.
Am 18. April 1850 erhielt
Johannes Lemmer aus Sichertshausen vom Direktor des Verwaltungsbezirks Marburg
die Genehmigung zur Auswanderung nach Nordamerika. Er wurde aus dem Untertanenverbande entlassen.
Heinrich Gilbert aus
Sichertshausen hatte auf dem Landratsamt in Marburg beantragt, ihn aus dem
Untertanenverbande zu entlassen, weil er nach Amerika auswandern wolle. Er nannte auch die Gründe für seine Absicht. Seine Familie habe die Auswanderung
beschlossen und deshalb bereits das gesamte mobile und immobile Vermögen
verkauft. Sein Vater habe sich wegen
der unerträglichen Lebensverhältnisse aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit
dem Trunke ergeben, wodurch sich die Vermögensverhältnisse derart verschlechtert
hätten, daß nach Deckung der vorhandenen Schulden gerade noch das Reisegeld für
die Überfahrt der Familie übrig bleibe.
Sein älterer Bruder sei als Bahnwärter bei der Main-Weser-Bahn
angestellt und bleibe, da er seinen eigenen Haushalt führe, in
Sichertshausen. Somit sei die Reihe an
ihm, Heinrich, seinen Vater bei der Übersiedlung zu vertreten.
Am 5. März 1852 wurde in
Marburg der Auswanderung zugestimmt unter der Voraussetzung, daß Heinrich
Gilbert auf dem Landratsamt seinen Abschied vom Militär nachweisen konnte. Und das gelang ihm nicht, denn das Kriegsministerium in Kassel
entschied am 18. April 1852, daß der in der Reserve des III.. Infanterieregiments stehende Musketier Heinrich
Gilbert nicht aus dem Militärverbande entlassen wird.