Die Amtszeit des Bürgermeisters
Gilbert um 1843
Die Amtszeit des
Bürgermeisters Schwarz um 1846
Die Amtszeiten der beiden
Bürgermeister Gilbert und Schwarz lassen sich zeitlich nicht genau bestimmen. Darum fassen wir das Jahrzehnt von 1840 bis
1850 zusammen und schildern als das wichtigste Ereignis die Situation in der
Schule.
Am 10. April 1845 unternahm der Schulinspektor,
Metropolitan Klingelhöfer zu Treis an der Lumda, den zweiten Vorstoß und
beantragte beim Kreisamt wieder den Schulneubau. Die Schulstube fasse höchstens 49 Schüler, die tatsächliche Zahl
belaufe sich aber auf 62. Unter dem
Fußboden sammle sich das Wasser, dadurch bekämen die Schüler kalte Füße, und
außerdem stinke es entsetzlich. Das
Haus sei ungesund, höchst baufällig, und man könne es nicht mehr reparieren.
Im April 1846 befürwortete
das Kreisamt den Neubau und lud Bürgermeister Schwarz und Ausschussvorsteher
Bingel zur Besprechung aufs Landratsamt.
Die beiden trugen am 4. Mai 1846 die Wünsche und den Beschluß der
Gemeinde vor: Verzicht auf einen Neubau, ja selbst Verzicht auf einen
Anbau. Die Begründung war
schwerwiegend: Erst vor wenigen Jahren, nämlich im Jahre 1839, hatte die
Gemeinde viel Geld in die Reparatur des Schulhauses gesteckt. Damals hätte die Behörde die Schulstube für
geräumig gehalten, nachdem Schichtunterricht angeordnet und eingeführt worden
war.
Außerdem besitze
Sichertshausen keinen Baugrund. Die
finanzielle Lage sei äußerst angespannt, die Gemeinde habe eine Schuldenlast
von 1150 Taler an die Landeskreditkasse zu verzinsen, dazu sei sie mit 630
Taler Dienstablösungskapital und 760 Taler für abgelösten Gerichtshafer
verschuldet.
Die
Ablösung der Dienste
Noch
bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts wurden die wichtigsten Steuern nicht
durch Geld entrichtet, sondern man zog die Untertanen zu allerlei Arbeiten
heran wie z. B. zum Straßenbau, zu Reparaturarbeiten an Burgen und Schlössern,
zur Feldarbeit auf den Gütern der Herrschaft.
Die Sichertshäuser mußten sich von 1800 bis 1802 auch am Bau des neuen
Amtshauses in Treis auf der Burg am Wasser beteiligen. Die Steuer war in Arbeit statt in barer Münze
vor allem deshalb angesetzt, weil die meisten Menschen über kein Geld
verfügten. Und wer über einen kleinen
Besitz, z. B. ein Haus mit einem Herd, also einen »Rauch« verfügte, war zur
Abgabe eines sog. Rauchhuhnes verpflichtet,
und der »Zehnte« wurde in einem entsprechenden Anteil an den Erträgen von Haus
und Hof geleistet. Es gab auch eine ganze
Reihe von Sondersteuern, mit deren Hilfe die Herrschaft ihr aufwendiges
Hot7eben finanzierte, z. B. die Heiratssteuer.
Das Geldbedürfnis der Herrscherhäuser war ungeheuer.
Die
französische Revolution beseitigte diese erniedrigenden Dienste.
1833
wurden die Hand- und Spanndienste in das sog. Dienstgeld umgewandelt, das 1845
abgelöst wurde. Etwa vom Jahre 1836 an verfuhr man ähnlich mit der Ablösung
aller Zehnte. Dabei ging man so vor, daß
ein Jahresbetrag in Geld für jeden Zehnten festgesetzt wurde. Mit der zwanzigfachen Summe wurde der Zins
abgelöst, wurde die Herrschaft abgefunden.
Gewaltige Zahlen kamen dabei heraus.
Die Bauern konnten unmöglich so viel Geld aufbringen, deshalb
verpfändeten einzelne Bauern und die Gemeinde Sichertshausen Ländereien und
nahmen ein Darlehen bei der kurhessischen Landeskreditkasse auf, die Gemeinde
Sichertshausen z. B. eine Schuld von1396Taler29Silbergroschen8Heller. (58) Die
Schuld wurde durch die Eintragung im Grundbuch abgesichert. Jahrzehntelang mußten die Einwohner zahlen,
um diese Schuld abzutragen, dann wurde das Pfandrecht im Grundbuch wieder
gelöscht.
Die
gewaltigen Ablösungsschulden waren die Ursache für die Auswanderungswellen im
vorigen Jahrhundert. Zur
Veranschaulichung soll noch ein Bericht aus Treis folgen. Die Landeskreditkasse zahlte das
Ablösungskapital für den Pfarr- und Fischerzehnte in harten Talerstücken aus,
die Treiser mußten das Geld mit einem Fuhrwerk auf der Post in Bellnhausen abholen. Auf der Renterei in Treis brauchte man zwei Tage,
um das Geld nachzuzählen. (27-30)
Der Gemeindeausschuß hatte
einen Plan entwickelt, wie dem Übelstande in der Schule abgeholfen werden
konnte. Der Fußboden sollte um einige
Fuß gesenkt und der darunter befindliche kleine Keller mit Sand aufgefüllt
werden. Auf diesen Keller könne man
verzichten, weil ja ein neuer gebaut worden war. Der Zimmermeister Geiß fing bereits an der Senkung der Schulstube
an zu arbeiten. Auch die Maurer-,
Schreiner- und Weißbinderarbeiten wurden verakkordiert.
Über die Größe der
Lehrerwohnung könne man nicht klagen, sie sei geräumig genug, was schon daraus
hervorgehe, daß die Eltern des Schullehrers Dörr bei ihm wohnten. (1,2)
Das
Revolutionsjahr 1848
Bei
der Revolution von 1848/49 handelte es sich um eine Revolution des Volkes aller
Schichten, allerdings ohne einheitliche Führung und aufgesplittert in
widersprüchliche Zielsetzungen. Träger
der revolutionären Kämpfe waren vielfach die von der sozialen Frage in erster
Linie betroffenen Gesellen und Facharbeiter.
Das im Februar 1848 erschienene Kommunistische Manifest von Karl Marx
war noch weitgehend unbekannt.
Von
Süddeutschland her breitete sich die revolutionäre Bewegung mit ihrer sozialen
Komponente auch in unser Gebiet aus. Im
März 1848 strömten in Treis aus den umliegenden Dörfern, auch aus
Sichertshausen, viele Menschen zusammen, hielten aufrührerische Reden und
stießen Drohungen aus. Sie zogen vor
die Burg, so daß Wilhelm von Schutzbar seine Lage als ziemlich ernst
einschätzen mußte. Er verhandelte mit
einer Abordnung aller Untertanen und versuchte, seinen Besitz zu
verteidigen. Er habe doch mit den
Untertanen gemeinsam in den Freiheitskriegen das Vaterland verteidigt, er
gehöre doch zum Dorf sei er doch zusammen mit den Dorfkindern
aufgewachsen. Aus diesen Gründen bat er
die Untertanen, seinen Besitz für ihn und seine Kinder zu schonen. Er hatte
nicht gemerkt, daß die Abgesandten des Volkes auf die Verwirklichung ganz
anderer Forderungen drängten, sie wollten die Adelsherrschaft der Grundherren
abschütteln. Sie verlangten die
Beseitigung jeglicher Lasten und Dienstbarkeiten, Abschaffung der
Gerichtshoheit des Grundherrn und Aufhebung aller Lehensvorrechte. Die gequälten Menschen entluden all ihren
Ärger, den seit Generationen angestauten Zorn gegen die Grundherren in Treis,
gegen die Milchlings. Am 14. März, dem politisch heißesten Tag in Treis,
richtete sich die Empörung gegen die himmelschreiendste und verhassteste aller
Steuern, gegen die Brautsteuer.
Die
Heiratsteuer der Milchlings
Von
alters her war es üblich, dass zu Hochzeiten auf der Burg der Milchlings viele
Ritter als Gratulanten erschienen. Die
Burgherren brauchten Verpflegung für die Gäste und Hafer für die Pferde. Die Untertanen mußten liefern. Aus dieser Gewohnheit entwickelte sich die
Heiratssteuer, oder wie die Milchlings auch sagten, die Aussteuer. Diese Brautsteuer bestand aus dreien der
besten Kühe, die die Milchlings selbst aus der Herde des Dorfes
auswählten. Außerdem mußte jede
Hofreite eine Meste (ungefähr 25 Pfund) Hafer und ein Huhn auf die Burg
liefern.
Es
hieß schlicht, wenn Söhne oder Töchter der Milchlings heiraten, ist diese
Steuer zu erbringen. Nun entbrannte ein
ewiger Streit, denn die Milchlings waren nicht zimperlich. Da das Geschlecht sehr kinderreich war,
wuchs die Steuer ins Uferlose, der wirtschaftliche Ruin des Dorfes war zu
befürchten. Die Sichertshäuser versuchten, durch Gerichtsbeschluß die Regelung
herbeizuführen, daß nur den Milchlings die Steuer zustand, die auf der Burg
gezeugt und erzogen waren. Sie kamen
aber mit ihrer Klage nicht durch. So
verklagte der Amtmann von Schutzbar zu Neukirchen im Jahre 1822 die Gemeinde
Sichertshausen auf Zahlung der Heiratssteuer. Alte Urkunden aus den Jahren
1668, 1 783 und 1 786 wurden auf dem Justizamt in Treis vorgelegt, aus denen
hervorging, daß die Gemeinden die Heiratssteuer gezahlt hätten. Die Bürger von Sichertshausen wehrten sich
energisch: wenn jemand einmal ein Geschenk gemacht hätte, könne man unmöglich
aus dieser Tatsache später die Leistung eines solchen Geschenkes
verlangen. Sie jedenfalls fühlten sich
zu solch einem Geschenk nicht verpflichtet. (27-30)