Die Amtszeit des Bürgermeisters Adam Pfeffer

1834-

 

Seine Zeitgenossen waren:

Schulinspektor Pfarrer Klingelhöfer

Schullehrer Wilhelm Schellhas

 

Die Zollstation Sichertshausen

Die Kleinstaaten hatten sich im Mitteldeutschen Handelsverein zusammengeschlossen, der sich gegen Preußen richtete.  Preußen antwortete 1828 bis 1829 mit dem Zollvertrag, der zwischen Preußen, Hessen, Bayern und Württemberg zustande kam. Daraus entwickelte sich 1833 der Deutsche Zollverein (Friedrich Liszt).  Die meisten deutschen Länder schlossen sich unter Preußens Führung wirtschaftlich zusammen.

 

Das alte und das neue Zollhaus

Bis in die 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts bezeichnete man das erste Haus am Nordausgang Sichertshausens (»Schusters", Bodenbender, heute Nr.9, früher Nr.46) als Chausseehaus.  Es war ein Privathaus, der Wegegelderheber amtierte darin nur in einem einzigen gemieteten Zimmer.  Hier ein Grundriß und ein Lageplan. Wie wir weiter unten erfahren werden, änderten sich 1828 die Zollbestimmungen, nun genügte das armselige Amtslokal nicht mehr.  Da ganz allgemein die Mietwohnungen in Sichertshausen für Zollzwecke ungeeignet waren, spielte die Behörde mit dem Gedanken, ein ganzes Haus zu mieten oder zu kaufen.  Es mußte allerdings an der Straße liegen.  Weil es aber nichts derartiges gab, wurde der Bau eines neuen Zollhauses beschlossen.  Anton Zecher mußte ein Achtel seines Grundstücks an der Straße am südlichen Ortsausgang im Tausch mit dem Landesherrn hergeben, der Landbaumeister Arend fertigte die Baupläne für das dreiteilige Zollhaus an, der Kostenanschlag belief sich auf 1686 Taler.  Mit dem ca. 1830 vollendeten Bau, heute Hauptstr. 40, hatte man einige Verbesserungen erreicht.  Jetzt konnte man auch nachts bei den vorbeifahrenden Fuhrwerken die Fahndung nach zollpflichtigen Gütern besser durchfuhren.  Mit der Grenzzollgebühr erhob man gleichzeitig das Wegegeld, so daß der Reisende nur einmal anhalten mußte.  Ferner erwies es sich als vorteilhaft, für alle drei Beamte, nämlich den Lizenzverwalter (er erteilte die Erlaubnis zur Wegebenutzung), den Kontrolleur (er prüfte) und den Visitator (er untersuchte und führte die Leibesvisitation durch), die Wohnungen mit den entsprechenden Nebenräumen im selben Hause zu haben.  An Amtsräumen gab es die Geschäftsstube und die Repositenkammer, das war der Raum mit dem Aktenschrank und der Ablage.  Nach etwa 4 Jahren traten die Bestimmungen des Deutschen Zollvereins in Kraft, das Zollhaus wurde überflüssig, die Zollverwaltung ordnete die Versteigerung des Hauses an. Der Chausseewärter Caspar Will aus Ronhausen erhielt für 520 Taler den Zuschlag. (76)

 

Die Regierung in Darmstadt hatte 1828 eine neue Zollverordnung erlassen, nach der Waren aus dem kurhessischen Staate nur in Lollar entgegengenommen werden durften.  So wurde Sichertshausen zum letzten Ort vor der kurhessisch-hessendarmstädtischen Grenze, die über der steilen Tiefenbach verlief und zur Zollgrenze geworden war.

Die Fuhrwerke blieben über Nacht in Sichertshausen, und man ließ eventuell notwendige Reparaturen ausführen.  Bis 1945 war das Gasthaus Bingel weit bekannt.  Vor der Motorisierung wurde dieses Gasthaus von den Fuhrleuten aufgesucht, wo sie übernachteten und die Pferde versorgen ließen.  Von dort aus wurde auch mit Pferden Vorspann geleistet, um die Tiefenbach am Ortsausgang bewältigen zu können.  Hierauf weist der Flurname »Abspann« hin. (26)

Die Zöllner durften ebenso wie die Torschreiber und Wachen nach einer Verfügung der Behörde vom Jahre 1830 verdächtige Personen wie Landstreicher, Vagabunden, herrenloses Gesindel, Zigeuner, Bettler, Arme, Kranke und fremde Leute ohne Paß nicht passieren lassen.

Man sollte nicht vergessen, daß es damals eine Polizei im heutigen Sinne nicht gab.  Die Bevölkerung mußte sich selbst helfen.  Not, Krieg und die Willkür der Standesherren trieben manchen braven Bürger in die Reihen der Räuberbanden.  Aus den dichten Waldungen der Tiefenbach stießen sie zu ihren Raubzügen vor.  Gefährdete Häuser mußten mit eisernen Gittern vor den Fenstern und doppelten Eisenstäben an den Haustüren gesichert werden. 1831 wurde der hessische Zollkrieg beendet, und 1834 trat der Deutsche Zollverein mit seiner Handelsfreiheit über alle Grenzen in Kraft.  Die kleinen Zollstellen, die einen reibungslosen Warenverkehr unmöglich gemacht und die Waren sehr verteuern hatten, waren nun überflüssig geworden. (57)

 

Das Einzugsgeld

Im Juli 1836 hatte sich Pfeffer mit dem Chausseewärter Casper Will zu beschäftigen.

Am 10. November 1823 wurde Casper Will von der kurfürstlichen Oberbaudirektion als Chausseewärter eingestellt.  Laut Verfügung des Straßenbaumeisters wurde ihm Niederweimar als Dienstwohnsitz zugewiesen. 1828 erfolgte seine Versetzung nach Ronhausen.

Am 14. Okt. 1834 kaufte er vom Staate das ehemalige, unlängst neu erbaute dreiteilige Grenzzollhaus in Sichertshausen, das am Ende des Dorfes an der Straße nach der Tiefenbach zu lag.  Er versah seine Geschäfte in der Gemarkung Wolfshausen.  Das kurfürstliche Obergericht bestätigte den Kaufbrief am 30. Dezember 1834. Der Straßenbaumeister wies ihm erst im Jahre 1835 Sichertshausen als Wohnort zu.  So kam es, daß die Gemeinde von Caspar Will folgendes Einzugsgeld kassiert hatte:

für ihn                           10 Reichstaler

für seine Frau                5 Reichstaler

für seine vier Kinder      10 Reichstaler

Summe 25 Reichstaler oder 45 Gulden

 

Diese beträchtliche Summe (zum Vergleich: um das Jahr 1800 betrug das Jahreseinkommen eines Knechtes 20 bis 22 Taler) wollte Casper Will zurückhaben, da Sichertshausen ja sein Dienstwohnsitz sei, sein Dienstbezirk erstrecke sich jetzt von der großherzoglich-hessischen Grenze bis eine Stunde diesseits in der Bellnhäuser Gemarkung, wo der Bezirk des gleichfalls in Sichertshausen wohnenden Chausseewärters Lemmer anfange.

Bürgermeister Pfeffer war der Ansicht, Casper Will sei als Hausbesitzer Beisitzer in Sichertshausen geworden, genieße die Ortsrechte wie die anderen Beisitzer auch und könne das gezahlte Einzugsgeld nicht zurückverlangen.  Im Sommer 1836 bat er das kurfürstliche Kreisamt um eine Entscheidung in dieser schwierigen Frage.  Wie das Problem gelöst wurde, ist leider nicht bekannt.

Caspar Will war mit Marie Katharine geb.  Blank verheiratet.  Die Eheleute verpfändeten am 6. Juli 1838 Wohnhaus, Hofraide und den kürzlich erbauten Stall dem Baukommissar Wilhelm von Schutzbar genannt Milchling zu Marburg.  Er hatte ihnen 300 Gulden Frankfurter Währung zu 4% geliehen. (58)

 

Das Ende der Leibeigenschaft

Die Leibeigenschaft wurde in Deutschland im Jahre 1809 aufgehoben.  Die alten feudalen Abhängigkeiten verschwanden.  Die Kinder wurden nicht mehr zum Gesindedienst gezwungen, sie konnten frei einen Beruf wählen, sie durften ohne Erlaubnis der Herrschaft heiraten.  Die Dienste, die auf dem Hof lasteten (nicht auf der Person), blieben bestehen: Abgaben, Hand- und Spanndienste.  Einige Abgaben wurden erst um 1840 aufgehoben, andere erst in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts.  Statt einer Fülle unterschiedlicher Abgaben hatte der Bauer nur noch Steuern an den Staat und Ablösungsrenten an eine Rentenbank zu zahlen.  Für mehrere Jahrzehnte war er jetzt bei diesen Banken verschuldet.  Häufig mußte er sein Land verkaufen.

 

Die Schule

Bürgermeister Pfeffer hatte ein schweres Amt angetreten.  Das Schulhaus war, wie man aus den folgenden Zeilen ersehen wird, kurz vor dem Zusammenbruch - und die Gemeindekasse war leer. Der Schulinspektor Pfarrer Klingelhöfer und der Schullehrer Wilhelm Schellhas schrieben Klagebriefe ans kurfürstliche Landratsamt in Marburg, der Landrat Rohde schickte Anweisungen und Verfügungen nach Sichertshausen - der Bürgermeister Pfeffer und der Gemeindevorstand reagierten aber fast gar nicht.  Sie konnten bei der hohen Verschuldung der Gemeinde wirklich nichts tun.

 

Mängel in der Schulstube

Ein Fensterrahmen war los und stand handbreit von der Wand ab. Der Ofen im Schulzimmer war gesprungen, ließ Feuer und Rauch durch und konnte nicht mehr geheizt werden.  Der Bürgermeister schaffte einen neuen Ofen herbei, der aber von ganz alter Form war und mit Schrauben zusammengehalten werden mußte.  Schellhas hatte den Eindruck, der Ofen stamme aus der alten Rüstkammer eines Eisenhändlers in Gießen.  Die Platten waren fingerdick, und eine einzige Heizung erforderte mehrere Scheite Holz.  Der Ofen war von solch enormer Größe, daß er die halbe Schulstube einnahm. Das Schulzimmer war nur 6 Fuß 11 Zoll hoch (1 Fuß = ca. 36 cm; Gesamthöhe also etwas über 2 m).  Die kleinen Schiebefenster aus runden, ganz blinden Scheiben ließen weder das Licht herein noch den Dunst hinaus. Zunächst fehlten die Abtritte für die Schulkinder und für den Lehrer.  Dann wurden sie endlich doch gebaut, aber recht lieblos: Die Hausmauer nach der Kirchhofsseite wurde aufgerissen und die Abtritte angebracht.  Dann geschah nichts mehr, nun konnte alle Weit den auf dem Abtritt Sitzenden sehen, dem alle Scham abhanden kommen mußte; so stellte der Abtritt ein öffentliches Ärgernis dar.  Das Haus wurde an der Stelle, wo die Mauer gebrochen war, nicht wieder zugemauert, so daß jetzt Regen, Schnee und Kälte ungehindert ins Haus eindringen konnten.

 

Mängel in der Lehrerwohnung

Der Ofen in der Wohnstube war gesprungen und rauchte entsetzlich, ihm fehlte die Tür.

In der Wohnstube klaffte zwischen Fensterrahmen und Wand ein armbreiter Spalt.  Die Küche war ohne Schloß und Riegel, sie war nicht geplättet, und die Öffnung nach dem Kuhstall hin war ohne Tür.

Es gab keinen Kartoffelkeller.

 

Mängel an Wirtschaftsgebäuden und an der Kirchhofsmauer

Der Viehstall war nicht gepflastert, darin fehlten Raufe und Krippe. Der Kirchhof war unverschlossen, die Mauer an drei Stellen eingefallen, Schweine und Gänse tummelten sich auf dem Friedhof.  Ein Trunkenbold aus der Nachbarschaft hatte sich den Kirchhof zum Ausleerungsplatz auserkoren. Der Lehrer war laut Dienstanweisung des kurfürstlichen Konsistoriums dazu verpflichtet, den Kirchhof verschlossen zu halten und überhaupt auf dem Totenhof nach dem rechten zu schauen.  Unter den oben geschilderten Verhältnissen sah sich Schellhas außerstande, seinen Pflichten nachzukommen.

Am 31.  März 1837 brachte Pfarrer Klingelhöfer einen ganz neuen Gedanken auf: Sichertshausen brauche eine neue Schule.  Er konnte diese Forderung auch gut begründen.  Zu den bereits genannten Mängeln fügte er noch weitere hinzu: Die Schulstube, in welcher 60 Kinder unterrichtet wurden, sei zu klein.  Sie sei 14 1/2 Fuß breit, 20 Fuß lang und nur 6 1/2 Fuß hoch (4,22 m x 7,20 m x 2,34 m). Der Fußboden war zwar gedielt, in ihm seien aber 1/2 Schuh tiefe und breite Löcher. Die Wände seien vom Lehm entblößt, Kälte und Wind dringen überall durch.

 

Klingelhöfer meinte, selbst wenn die Gemeinde es könnte, würde es eine sinnlose Ausgabe bedeuten, die Schule zu reparieren.  Dem Übelstande sei nur durch Verkauf des alten und durch Errichtung eines neuen Schulhauses abzuhelfen.  Der Gemeinde, die nur aus zwei reichen und im übrigen sehr geringen und armen Leute bestehe, sei es völlig unmöglich, die erforderlichen Mittel aufzubringen.  Darum bat Klingelhöfer das Kreisamt, der Gemeinde aus dem Fond von 4000 Reichstalern, der beim Kreisamt für den Schulbau armer Gemeinden bestehe, einen Baukostenzuschuß von 300 Reichstalern zu bewilligen.  Sichertshausen sei einer solchen Beihilfe durchaus würdig, habe die Gemeinde doch im Jahre 1780 aus eigenen Mitteln eine schöne Kirche erbaut ohne Unterstützung durch eine Kollekte oder eine Hilfe von Seiten des Staates.  Die damals gebrachten Opfer lasteten noch heute schwer auf einzelnen Gliedern der Gemeinde.

Diese neue Idee, eine Schule zu bauen, wurde in der Praxis nicht beachtet.  Der Ober-Schulinspektor, Pfarrer Uhrhan zu Kirchvers, verlangte am 8. Juni 1837 vom kurfürstlichen Kreisamt, dafür zu sorgen, daß die Schulstube im Laufe dieses Sommers ausgeweißt werde, außerdem seien folgende Bücher und Lehrmittel anzuschaffen: das Lehrbuch der allgemeinen Geographie von Cannabich, das Lehrbuch der Naturgeschichte von Funke, eine große schwarze Wandtafel und die Vorlageblätter zum Schönschreiben.

Der Landrat gab diese Anordnung sofort an den Bürgermeister weiter und verlangte Vollzugsmeldung spätestens nach acht Wochen.  In Sichertshausen geschah aber auch weiterhin nichts.  Die drückende Lage des Schullehrers Schellhas zwang ihn, Hilfe vom Landrat zu erbitten, der dem Bürgermeister entsprechende Befehle erteilen möge.  Er legte wieder eine lange Liste mit Mängeln vor:

 

ein Schulschrank und ein Schultisch werden dringend gebraucht, es fehle eine Wandkarte von Deutschland, dadurch werde der Lehrer an der Erfüllung seiner Pflichten gehindert, in der Schulstube sei der Fußboden aufgewühlt, selbst unter dem Ofen seien keine Platten, in der Lehrerwohnung fehle in der Küche der Rauchfang, der Herd sei nur heizbar, wenn man Türen und Fenster öffne, im oberen Stock müsse man beim Feueranmachen durch eine nur zwei Fuß hohe und breite Öffnung kriechen; dabei komme man in Gefahr, in die Küche zu stürzen, weil im Boden ein großes Loch sei, durch welches der Rauch aus der Küche abziehe.  Durch den ewigen Rauch im ganzen Hause hatte der Lehrer schon völlig entzündete Augen, der Schweinestall sei ohne Trog, deshalb müsse Schellhas seine Schlachtschweine woanders mästen, ein Holzschuppen fehle, deshalb müsse er sein Holz auf dem Kirchhof aufschichten, seit 1834 bedecken Schutt und Steine den Kirchhof, die Miststätte sei der vielen Steine wegen, welche sie bedecken, unbrauchbar.

 

Einen kleinen Fortschritt konnte Pfeffer am 8. Januar 1838 dem kurfürstlichen Kreisamt doch melden: die nötigsten Schulapparate und Lehrmittel seien teils angeschafft, teils zur Anfertigung bestellt.  Ein Rauchfang sei allerdings noch nicht angelegt worden, weil zu dieser Jahreszeit die entsprechenden Arbeiten nicht ausgeführt werden konnten.  Er sagte auch, daß der Lehrer auf eigene Kosten einen neuen Kochofen in der Oberstube habe anbringen lassen, und so sei der Rauch größtenteils verbannt.

Schellhas hatte sich zum Kauf des Ofens entschlossen, weil sein Leinenzeug in Schränken und Kommoden ganz gelb wurde, vor allem aber, weil er schlimme, entzündete Augen bekommen hatte.  Er mußte zum berühmten Gießener Augenarzt Professor Balser fahren, der ihm den Rat zum Kauf des Ofens gegeben hatte.  Der Ofen hatte 24 Gulden 36 Kreuzer gekostet.  Nun bat Schellhas das kurfürstliche Schulamt, es möge die Gemeinde veranlassen, ihm das Geld zu erstatten.  Er beendete seinen Brief mit dem Satze:

»Es ist sonderbar, daß hiesiger Bürgermeister, mit dem ich sehr freundschaftlich lebe, nur dann etwas für die Schule tut, wenn er gezwungen wird.« Nachdem im August 1839 die Decke zum Teil in der Schulstube, zum Teil in der Wohnstube heruntergefallen war, ordnete der Ober-Schulinspektor die Reparatur an und verfügte außerdem, daß wegen der Raumnot in Klassenabteilungen zu unterrichten sei. Er verständigte die kurfürstliche Regierung, die den Bürgermeister anwies, daß sämtliche Reparaturen noch vor Wintereinbruch auszuführen seien. So bekamen in Sichertshausen der Weißbinder Johannes Will II und der Schreiner Schneider den Auftrag, die Schäden zu beseitigen.  Mit dem Jahre 1839 trat Ruhe ein, scheinbar war alles notdürftig repariert. (1,2)

 

Die Kirche

Die Kirche in Sichertshausen wurde im Jahre 1780 als schlichter Saalbau mit einem großen Dachreiter auf der Westseite erbaut.  Man setzte sie auf die Grundmauern der alten Kirche, die um 1200 errichtet worden war und wegen Baufälligkeit nicht mehr repariert werden konnte.  Als Besonderheit wurde die Kirchejetzt im Fachwerk errichtet, die Gefache dichtete man jedoch nicht mit Lehm und Stroh, sondern mit unregelmäßigen und unbehauenen Feldsteinen. Da die Kirche wegen der dünnen Wände im Winter sehr kalt war, entschied man sich bei der Erneuerung im Jahre 1904, die Kirche innen und außen zu verputzen. 1925 wurde eine elektrische Fußbodenheizung im Erdgeschoß eingebaut.  Auf der Empore gab es eine Heizung erst nach der Währungsreform 1949.

Am 15.  März 1962 beschloß die Gemeindevertretung, in der Kirche eine Läutemaschine einzubauen (74), und im Jahre 1963 fand dann gleichzeitig eine gründliche Renovierung der Kirche statt.

Sichertshausen war ebenso wie die Muttergemeinde Treis a. d. L. bis zum Jahre 1649 in der Kollatur (Kollatur.  Recht zur Verleihung eines Kirchenamtes) der Junker Schutzbar genannt Milchling.  Im Jahre 1649 wurde die Kollatur an den Landgrafen von Hessen-Kassel abgetreten.

 

Die Kirche ist die einzige im Kirchspiel, die nicht grundbuchlich im Besitz der Kirchengemeinde ist, sondern der politischen Gemeinde gehört.

 

In der Kirche befindet sich eine wunderschöne Taufkanne und ein Becken aus Zinn.  Auch das Abendmahlsgeschirr ist beachtlich, es ist silber-vergoldet und wahrscheinlich eine Stiftung der Familie Krag. Die Kirchenbücher werden seit 1661 geführt. (48)

 

 Bis 1905 hatte Sichertshausen zum Kirchspiel Treis a. d. L. gehört, das bis 1866 kurhessisch gewesen war und bei der Annexion durch Preußen an Darmstadt abgetreten wurde.  Deshalb schlossen im Jahre 1904 das Königreich Preußen und das Großherzogtum Hessen-Darmstadt einen Staatsvertrag, wonach das bei Hessen-Kassel verbliebene Sichertshausen aus dem Kirchspiel Treis ausgegliedert und dem Kirchspiel Hassenhausen zugeteilt wurde.  Die Sichertshäuser hatten sich viele Jahre fremd im neuen Kirchspielverband Hassenhausen gefühlt.

 

Bürgermeister Pfeffer wurde seit September 1839 ganz von der Kirche in Anspruch genommen.  Er meldete dem kurfürstlichen Kreisamt die Schäden an der Kirche: die Schwellen waren faul, das Holz des Unterbaus schadhaft, die Gefache mußten neu gemacht werden.  Er bat um die Bewilligung einer Kollekte als finanzielle Unterstützung.  Der Landbaumeister Regenbogen legte einen Kostenanschlag bei.  Für die Maurer- und Zimmermannsarbeiten mußten 101 Taler und 23 Groschen aufgebracht werden.  Allerdings konnten die Arbeiten nicht im Akkord ausgeführt werden, sondern nur im Tagelohn, weil dergleichen Reparaturen vorher nicht genau beurteilt und veranschlagt werden können.

 

Nachdem die Maurer-, Zimmer-, Schreiner- und Weißbinderarbeiten in der Beilage zum Oberhessischen Prov.  Wochenblatt Nr. 22 vom 19.  Mai 1840 ausgeschrieben waren, ging man an die Ausführung der Maßnahme.  Für seine korrekt ausgeführte Weißbinderarbeit erhielt der Weißbinder Johannes Will II aus Sichertshausen 55 Taler und 18 Groschen.  Er hatte die Kirche innen und außen renoviert und geweißt und 10 Fenster und die Eingangstür mit grauer Ölfarbe angestrichen.  Am 22.  September 1840 teilte Regenbogen weitere Mängel dem kurfürstlichen Kreisamt mit: Das Dach der Kirche und des Turmes war schadhaft und bedurfte noch vor Winteranfang einer Reparatur.  Diese konnte jedoch nur im Tagelohn durch einen tüchtigen Dachdecker aus Marburg ausgeführt werden.  An Materialien dürfte die Gemeinde 8 Ruten (1 Rute = ca. 20 qm) Schiefersteine von Gladenbach und 300 Ziegel anzuschaffen haben.  Das Kreisamt möge den Bürgermeister dazu anhalten, die Dachreparatur alsbald vornehmen zu lassen. Über die Ausführung dieser Arbeiten haben wir keine Schriftstücke gefunden. (5)