Die Amtszeit des Schulzen Johann Henrich Keil

1815 - Dez. 1830

 

Sein Zeitgenosse war der Zollschreiber und Hauptgrenzzolleinnehmer (1824) Benedict Joseph Dorn.

 

Die französischen Kriege und die Befreiungskriege waren vorüber. Die negativen Folgen der Kriegszeit von 1792 bis 1815 waren:

- vernichteter Wohlstand

- gesunkene Einwohnerzahl

- gelockerte Sitten

- erschüttertes Vertrauen zur Regierung

 

Die positiven Folgen waren:

- Freiheit der Person

- Selbstverwaltung der Gemeinde

- Besteuerung statt Zinsabgabe

- erhöhtes Selbstbewußtsein

 

Der Schulze (Schultheiß)

wurde von der Herrschaft, von der Behörde berufen und versah sein Amt auf Lebenszeit. Ihm oblag die niedere Gerichtsbarkeit, er vertrat die Interessen des Landesherrn. Um das Jahr 1800 betrug sein Jahresgehalt einschließlich Sachbezüge wie z. B. Holz etwa 30 Taler. Ihm waren drei Vorsteher beigegeben. Im Zweifelsfalle handelte der Schultheiß gegen die Interessen der Gemeinde. Die neue Gemeindeordnung von 1821 schaffte den Posten des Schulzen ab und ersetzte ihn durch das gemeindefreundlichere Amt des Bürgermeisters. Der Umwandlungsprozeß dauerte natürlich längere Zeit, in Sichertshausen hatte sich erst 1831 das neue Amt mit dem neuen Geist durchgesetzt.  Nun wurde von den Bürgern ein Gemeinderat gewählt, der ein Vorschlagsrecht für den Bürgermeister hatte, der dann von der Behörde ernannt wurde. Ab 1851 ernannten die Gemeinderäte den Bügermeister, nach 1874 wählten die Stimmberechtigten unmittelbar den Bürgermeister, dessen Amtszeit 6 und mehr Jahre betrug.

 

Hessen- Kassel, Hessen-Darmstadt und Kurhessen

1265 wurden Thüringen und Hessen getrennt. Philipp der Großmütige von Hessen starb 1567.  Per Testament teilte er das Land unter seine 4 Söhne auf, sie regierten zu Marburg, Rheinfels, Kassel und Darmstadt.

 

Der Hessenkrieg

Der Landgraf Ludwig III. zu Marburg starb und hinterließ 1604 als »Marburger Erbe« den Erbschaftsvertrag, der auch Staufenberg dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt zusprach. Damit war die Landgräfin Amalie von Hessen-Kassel nicht einverstanden. So kam es 1646 zum hessischen Erbfolgekrieg. Franzosen und Schweden unterstützen die Landgräfin, kaiserliche Truppen kämpften auf der Seite von Hessen-Darmstadt. Im Ergebnis kamen die Orte des heutigen Kreises Gießen zu Hessen-Darmstadt, der heutige Kreis Marburg zu Hessen-Kassel. Im Jahre 1772 wurde die Grenze festgelegt, der Grenzstein gesetzt. Der große Grenzstein Kurhessen / Hessen-Darmstadt steht heute noch über der Tiefenbach, allerdings ist die Metalltafel abgerissen.  Im Jahre 1933 wurde er entfernt, in den Graben geworfen, man sagte, Deutschland sei ein einziges, großes Reich, jetzt brauche man solche Steine nicht mehr. Nach 1945 besann man sich auf die alte Tradition und setzte den Stein wieder auf seinen früheren Platz. Eigenartig war die Entscheidung über die kleinen Gerichtsorte im Lumdatal. Weil man sich nicht einigen konnte, entschied das Los. Und so wurden Treis und Nordeck zu Hessen-Kassel geschlagen, während Allendorf und Londorf bei Hessen-Darmstadt blieben.

 

Kurhessen

Ursprünglich waren alle Reichsfürsten im Deutschen Reich zur Wahl (zur Kür) des deutschen Königs berechtigt. Seit 1257 hatte nur noch das Kollegium der 7 Kurfürsten dieses Recht. Karl IV. machte durch das Reichsgründungsgesetz, nämlich durch die Goldene Bulle 1356 diese 7 Kurfürsten zu Mitträgern des Reiches.

Die Zahl der Kurfürsten wurde erhöht, um den Proporz katholisch-evangelisch zu wahren. Hessen-Kassel erhielt die Kurwürde im Jahre 1803. Nach 1806 waren alle Fürsten ihre Titel los, nur der Kurfürst von Hessen-Kassel trug ihn trotzdem bis 1866.

 

Das Ende von Kurhessen

Im Jahre 1866 kam es zwischen Preußen und Österreich zum Kampf um die Vorherrschaft im Deutschen Bund.  Kurhessen, Nassau und die freie Reichsstadt Frankfurt wurden preußisch. Hessen-Darmstadt wurde aus politischen Rücksichten England und Rußland gegenüber im wesentlichen nicht angetastet, es konnte als Großherzogtum Hessen weiterbestehen. Die bis zu diesem Zeitpunkt kurhessische Exklave Treis a. d. L. wurde dem hessischen Kreise Gießen zugesprochen. Nordeck und Winnen aber blieben beim preußischen Kreise Marburg.

 

Die Beisitzer

Nach Überlieferung des Schulze Keil vom 3. Juni 1822 hatte Sichertshausen 7 Beisitzer.

 

Beisitzer oder Beisassen

waren Bürger, die kein Recht auf Allmende hatten. Das waren meist ehemalige Ortsfremde, die zugezogen waren oder eingeheiratet hatten. Sie besaßen nicht das Ortsbürgerrecht. Ausländer zahlten den doppelten Satz, Inländer den einfachen Satz des Einzugsgeldes. Die Frauen zahlten die Hälfte, die Kinder ein Viertel davon. Als Ausländer galten jene, die aus anderen Ländern als aus Kurhessen kamen. Um 1830 betrug das Einzugsgeld in Sichertshausen für den Mann 10 Taler oder 18 Gulden.

Im Jahre 1851 unterschied man nach Justiz-Amtsbezirken. Wer aus dem gleichen Justiz-Amtsbezirk kam, zahlte in Sichertshausen als Mannsperson 18 Gulden Frankfurter Währung. Wer aus einem anderen Justiz-Amtsbezirk zureiste, zahlte in Sichertshausen als Mannsperson 25 Gulden Frankfurter Währung Einzugsgeld.

 

Der Schulze Keil hatte auch die Rechte und Pflichten der Beisitzer schriftlich festgehalten. Sie durften die Huten (das Weideland) mit benutzen, mussten aber für das Stück Vieh 1 Gulden in die Gemeindekasse zahlen, fürs Schwein 15 Kreuzer. Ferner erhielt jeder Beisitzer jährlich eine halbe Klafter Holz aus dem Gemeindemitgebrauchswald, musste das Holz aber gegen Taxe an die Herrschaft bezahlen.

 

Wurde der Ofen des Gemeindebackhauses repariert, so zahlte der Beisitzer nur die halbe Summe im Vergleich zum Gemeindsmann, der Vollbürger war.

 

Beim Losen um das Backen brauchte der Beisitzer gegenüber dem Gemeindsmann nicht zurückzustehen. Die Beisitzer hatten gegenüber den Gemeindsleuten nur die halbe Anzahl der Tag- und Nachtwachen zu übernehmen und sich nur zur Hälfte am Wegebau und sonstigen Gemeindediensten zu beteiligen. Allerdings wurden diese letzten Bestimmungen mit dem Jahre 1822 geändert. Da Wache und Wegebau auch zum Vorteil der Beisassen stattfanden, sollten sie sich an diesen Tätigkeiten voll beteiligen. (4)

 

Die Landwirtschaft und das Handwerk

Die Einwohner von Sichertshausen lebten bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts ausschließlich von der Landwirtschaft. Im Dorf gab es daneben auch Handwerker, die die Bedürfnisse der bäuerlichen Bevölkerung befriedigten: Schmiede, Stellmacher, Schreiner, Schuster, Schneider. Die Bekleidung wurde aus Wolle und Leinen in den bäuerlichen Haushaltungen selbst angefertigt.

 

Das Maß "Acker«

war ein früheres deutsches Feldmaß wechselnder Größe, ungefähr 23 bis 64 Ar. In unserer Gegend kam der Acker dem Morgen gleich, der ursprünglich der Teil eines Ackers war, der an einem Morgen, an einem Vormittag gepflügt werden konnte.  Der Morgen hatte rund 25 bis 35 Ar, die Rute 20 qm.

 

Schafhaltung

Schafe spielten eine große Rolle, die Menschen waren ja auf die Wolle für die Bekleidung angewiesen. Schafe als anspruchslose Tiere konnten Brachland und Wegränder abweiden.  Da die Zahl zunächst nicht begrenzt war, kam es mitunter zu Streitigkeiten zwischen den Leuten, denn schließlich musste das Futter in der Gemarkung ja für alle Tiere reichen.

 

Auch der Landesherr und die Milchlings hatten von der Schafhaltung ihren Profit. Auf je fünfzig Tiere beanspruchten die Herrschaften einen Schnitthammel oder Weidhammel.

 

Feld- und Waldfrevel

Seit eh und je waren Feld- und Waldfrevel große Sünden. Man muss aber bedenken, dass es neben den begüterten Einwohnern in Sichertshausen auch ganz arme Menschen gab, die kaum Grundbesitz hatten. Sie lebten ausschließlich von dem, was der Garten und das Feld hergaben. Und das reichte, wenn es gut ging, täglich nur zu trockenem Brot. Diese armen Menschen waren auf Diebstahl angewiesen.

 

Einwohnerzahlen:

1577    22 Haushaltungen

1743    35 Haushaltungen

1895    274 Einwohner

1907    314 Einwohner

1956    419 Einwohner (200 männl., 219 weibl.)

 

Die Entlassung aus dem kurhessischen Untertanenverbande

Am 27. April 1815 bat der Schuhmacher Conrad Schwarz untertänigst um die Erlaubnis, sich im Ausland niederlassen zu dürfen. Er richtete sein Gesuch an die kurfürstliche Regierung in Marburg. Seine Begründung: Im Auslande biete sich ihm die vorteilhafteste Gelegenheit, sich zu verheiraten. In Atzbach im Herzoglich-Nassauischen wollte er heiraten. Da er in Sichertshausen überhaupt keine Immobilien besitze, mithin er auch keine eigene Wohnung habe, sei sein Einkommen auch sehr gering. Er könne sein Glück allein durch Heirat im Auslande machen.

Schwarz musste Papiere beibringen. Zunächst bestätigte ihm das Kriegskollegium in Kassel, dass er zum Soldatenstande unbrauchbar sei. Der Bauernmeister (Rechnungsführer) Gilbert zu Sichertshausen schrieb in seinem Gutachten: Der Schuhmacher Conrad Schwarz ist von seiner frühesten Jugend an in der Fremde gewesen. Über seine Militärtauglichkeit könne er nichts sagen. Sein Vermögen ist nach der Versicherung der Verwandten und des Vormundes nie in Beschlag gewesen. Es bestehe aus 315 Taler und einigen Grundstücken, so komme das Ganze auf ungefähr 500 Taler. An der hiesigen Renterei sei er nicht leibeigen.

Der Schultheiß Keil berichtete am 17. Juni 1815 an die kurfürstliche Regierung in Marburg: Der Schuhmacher Conrad Schwarz hat seit seiner frühesten Jugend seine Profession im Ausland betrieben.

Am 25.  Juli 1815 gab die Regierung in Kassel die Erlaubnis, dass sich Conrad Schwarz in Atzbach im Herzoglich Nassauischen niederläßt. Sie wies die Regierung in Marburg an, dem Schuhmacher das entsprechende Zertifikat auszustellen, und er erhielt es am 16.  August 1815.

 

Im März 1815 bat Johann Hinrich Krag aus Sichertshausen um die Erlaubnis, nach Klein-Karben im Großherzoglich-Hessischen ziehen zu dürfen. Auch er erhielt den gewünschten Schein.

Am 26. März 1817 richtete der Zollschreiber Georg Gundlach aus Sichertshausen folgendes Gesuch an die kurfürstliche Regierung: Ich habe meinen Sohn Conrad Friedrich Gundlach den Beruf des Kaufmanns in Frankfurt erlernen lassen, er hält sich dort schon seit 15 Jahren auf. Er ist beinahe dreißig Jahre alt und will sich jetzt in Frankfurt als Bürger niederlassen, um das Handlungsgeschäft für sich betreiben zu können. Das Einverständnis des dortigen Magistrats hat er bereits erhalten. Jetzt bitte er die Regierung in Kassel auch um ihre Einwilligung. Für den Sohn wäre es das größte Glück, und außerdem könnte er dann seine zahlreichen Geschwister unterstützen. Am 23. Juni 1817 wurde ihm die Zertifikation ausgefertigt.

 

Wilhelmine Gundlach aus Sichertshausen wollte den Hofgerichtskanzlisten Schmidt in Gießen heiraten. Das kurfürstliche Kreisamt teilte ihr mit, dass diesem Wunsche nichts entgegenstehe und erteilte ihr am 28. September 1824 den Demissionsschein zu ihrer Legitimation.

 

Johann Conrad Ruth bat, aus dem kurhessischen Untertanenverband entlassen zu werden, weil er sich in Lollar im Großherzogtum Hessen niederlassen wollte. Da er 36 Jahre alt und wegen schwächlichen Körperbaues nie zum Militärdienst herangezogen worden war und weil er über ein Vermögen von 700 Gulden verfügte, wurde diesem Gesuch am 2 1. Oktober 1830 stattgegeben. (16)

 

Napoleonische Kriege

Als nach der Französischen Revolution Frankreichs Armeen nach Deutschland verstießen, begannen schlimme Zeiten auch für Sichertshausen.  Dauernde Einquartierungen forderten unentgeltlich Verpflegung, die Gemeindekasse wurde rücksichtslos bis zum völligen Bankrott belastet.

Im Jahre 1796 rückten die Franzosen ins Land und verdrängten nach einem Gefecht bei Gießen die Kaiserlichen.  Das Land ringsum wurde besetzt, in Gießen residierte ein französischer Kommandant, der mehrfach sehr drückende Kontributionen für das ganze Land ausschrieb. Die Gemeinden mussten enorme Kriegskosten übernehmen, häufig fehlte bald das Geld.  Zunächst wurden die Summen durch Umlagen im Ort beschafft, bald konnte keiner mehr etwas geben. Nur der Gastwirt Bingel war in der Lage, mit Darlehen auszuhelfen. Als Sicherheit wurden Wiesen und Äcker aus Gemeindebesitz verpfändet.

Alle verfügbaren Gespanne wurden zu Kriegsfahrten der Franzosen herangezogen. Die Kutscher waren tagelang unterwegs, fuhren bis an den Rhein. Die Gemeinde musste den Arbeitsausfall bezahlen. Oft kamen die Fuhrleute ohne Gespann zurück, man hatte es ihnen weggenommen.

Das besetzte Gebiet wurde neu eingeteilt und mit französischen Bezeichnungen belegt. Der Kanton Ebsdorf gehörte jetzt zum Werra-Departement, Distrikt und Kreis Marburg. General Legrange übernahm den Posten des Generalgouverneurs von Hessen. Marburg erhielt eine Besatzung, die größtenteils aus Italienern bestand. Empörte Bauern und entlassene Soldaten stellten den Hauptmann Ludwig von Uslar an ihre Spitze und stürmten am 27. Dezember 1806 Marburg. Von der französischen Regierung wurde ein Aufgebot von 2600 Italienern angewiesen, in Eilmärschen noch am selben Abend Marburg zu erreichen und zu nehmen. Bei Bellnhausen steckten sie als Schreckenszeichen Lunten und Zündruten an. Im Jahre 1813 fand die Völkerschlacht bei Leipzig statt, Napoleon wurde geschlagen. Große Truppenkontingente fluteten durch unser Gebiet, zunächst waren es die zurückströmenden Franzosen, die Quartier suchten. Dann waren es die Truppen der nachdrängenden Verbündeten: Russen und polnische Kavallerie. Schließlich mussten preußische Soldaten verpflegt werden. Heu, Hafer, Stroh, Fleisch und Brot wurden sehr kostbar. Die Bürger hungerten. In vielen Haushaltungen wurde monatelang kein Fleisch gegessen. Geld war knapp, schließlich konnte Hilfe nur noch von wenigen kommen, so gab z. B. wieder der Gastwirt Bingel ein Darlehen. (27-30)