Die Amtszeit des
Bürgermeisters Johannes Gilbert
16. Sept. 1920-1946
Seine Zeitgenossen waren:
Schullehrer Heinrich Immel
aus Hatzbach von 1900-1925
Schullehrer Oskar Aßmann aus
Posen von 1925-1945
Die Schule wurde nach dem
Zweiten Weltkriege am 1. Oktober 1945 wieder eröffnet
Schullehrer Becker 1946
Schullehrer Karl Außerehl
(2. Lehrerstelle) wurde am 30.
September 1949 nach Fronhausen versetzt
Schullehrer Curt Kornath vom
1. Dezember 1946-30. September 1958
Gemeinderechner Karl Will
von April 1929-August 1939
Metropolitan Heinrich Eigenbrodt
von 1896-31. März 1926
Pfarrer Hermann Stauber vom
1. Oktober 1926-30. April 1933
Pfarrer Dekan Adolf Hermann
Hoffmann vom 15. Oktober 1933-31. Januar 1969
Urkunde
über die Entstehung unseres
Kriegerdenkmals
für die Gefallenen
aus dem Weltkriege 1914-1919
Niedergelegt am 27. Juni 1921
Im Herbst 1920 schlug der
Gedanke, unsere im Weltkriege gefallenen Krieger durch einen Denkstein zu
ehren, in unserer Gemeinde Sichertshausen Wurzeln. Im Laufe des Winters und
Frühjahrs 1921 wurden dann vom gewählten Denkmalsausschuß die nötigen
Vorbereitungen getroffen. Vorgelegte
Entwürfe und Zeichnungen von Denksteinen wurden begutachtet und die
erforderlichen Geldmittel aufgebracht.
Man entschied sich für den Entwurf, weicher von Johannes Gombert,
Wolfshausen, stammte. Nach diesem ist
der Denkstein ausgeführt worden. Der
Preis des Denkmals wird sich auf rund 600 Mark stellen. Die Beschreibung des massigen Steines wollen
wir der Betrachtung des Beschauers und Besuchers überlassen. Um das Denkmal soll eine kleine Hecke
führen, in welche für jeden gefallenen Krieger ein Baum gepflanzt wird. Blumenschmuck möge den Reiz des
Heldensteines erhöhen.
Der schöne rote Sandstein, sorgfältig
behauen, stammt aus den von Herrn Joh. Gombert, Wolfshausen, gepachteten
Steinbrüchen des Herrn Rauch, Wolfshausen.
In wenigen Wochen ist viel fleißige Arbeit geleistet worden vom
Lieferanten des Denkmals, Herrn Gombert, seinen Steinhauern und dem rührigen
Denkmalsausschuß.
Am Montag, den 27. Juni 1921
konnte der Denkstein aufgerichtet werden, welcher nun eine Zierde für unseren
neuen Friedhof sein wird. Am Sonntag,
den 3. Juli 1921 soll die feierliche Enthüllung und Einweihung stattfinden. Ein beigelegtes Programm (1) / (2) möge von der Feier
Kunde ablegen. Außerdem wird eine
genaue Beschreibung des Denkmals, der Enthüllungsfeier und der späteren
Ausschmückung des Denkmalsplatzes in der Kriegschronik des Weltkriegs erfolgen.
Möge der Stein unvergänglich
stehen im Sturm des Wetters und der Zeiten.
Möge er ein Wahrzeichen sein
deutscher Treue und Liebe.
Möge er auch ein Mahner
sein: Deutsches Volk, vergiß deine Geschichte nicht!
Geschrieben zu
Sichertshausen am 27. Juni von Lehrer
Heinrich Immel.
Der Leiter des Denkmalsausschusses: Heinrich Will, Maurerpolier.
Der Bürgermeister: Johannes
Gilbert, Landwirt.
Am 3.Juli 1921 wurde das
Denkmal unter reger Anteilnahme der Bevölkerung eingeweiht. (49)
Die Weimarer Zeit
Die Inflationszeit
Nach
dem Ersten Weltkriege trat eine Entwertung des Geldes ein, weil man den Krieg
durch Anleihen finanziert hatte. Die Entwertung
beschleunigte sich durch das Vordringen von lange zurückgestauter Kaufkraft bei
noch zu geringer Güterproduktion. Um
den Staatsbankrott zu vermeiden, wich die Regierung in die weitere
Kreditierung, in die Int7ation aus. Im
August 1922 begann der schnelle Verfall der Reichswährung. Erst im November 1923 war die Inflation
beendet. (50)
Am 1. Mai 1923 bat Johannes
Gilbert den Landrat in Marburg, ihn aus dem Amt zu entlassen. Er habe nur eine kleine Landwirtschaft, und
da das Bürgermeistergehalt immer wertloser werde, sei er gezwungen, sich nach
einer besseren Einnahmequelle umzusehen.
Daraufhin wurde am 23. Mai 1923
Heinrich Hoß zum neuen Bürgermeister gewählt.
Er war mit seiner Wahl einverstanden, als er aber die Annahme
unterzeichnen sollte, erschrak er wohl über seinen Mut, verweigerte die
Unterschrift - und Sichertshausen mußte wieder einen Bürgermeister suchen. Die Gremien zogen aus dem Geschehnis die
notwendige Schlußfolgerung, erhöhten das Bürgermeistergehalt, und so verkündete
Gilbert, daß er bei dem neu festgesetzten Gehalt bereit sei, das Amt weiter zu
bekleiden. Am 12. Juli 1924 wurde er von allen neun
Gemeindeverordneten zum Bürgermeister wiedergewählt. (14)
Ortsarmenverband
In Sichertshausen bestand
bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts ein Ortsarmenverband; wann er
gegründet worden war, konnten wir nicht feststellen. Dieser Verband erhielt vom Bezirkswohlfahrtsverband bis zur
Inflationszeitjährlich einen Rentenbetrag von 23,73 Mark, der zur Verteilung an
Arme der Gemeinde Sichertshausen bestimmt war.
Diese Leistung beruhte auf einer nicht mehr vorhandenen letztwilligen
Verfügung des Herrn v. Schutzbar gen.
Milchling vom Jahre 1599. Bis
zum Jahre 1927 wurden alle Ortsarmenverbände aufgelöst, so auch der in
Sichertshausen. Die Gemeinde erhielt
eine einmalige 15% Abfindungsbeihilfe, das waren 356 Mark. Diese Summe mußte zweckgebunden angelegt
werden, damit die Zinsen den bisher üblichen Rentenbetrag ergaben, der an die
Hausarmen zu verteilen war. (42)
Arbeiter und Bauern
Das Proletariat
Durch
die Industrialisierung war eine dritte Klasse entstanden, das Proletariat. Man sah in den Proletariern noch weniger als
in den »echten« Arbeitern, sie waren die Ausgestoßenen, die Entwurzelten, das
unglückliche Produkt des Fortschritts.
Man sagte, diese Menschen halten nichts von altehrwürdigen Sitten, sie
feuern die Menschheit an, gegen echte und seit langem bestehende Ordnungen zu
revoltieren. Vor diesen »destruktiven«
Elementen fürchtete man sich. Eine Polarisierung setzte ein, auf der einen
Seite standen die Völkischen, und auf der anderen Seite fand man die
Arbeiterbewegung und sozialistische Gruppierungen.
Der Arbeiter-Turnverein
In den zwanziger Jahren
unseres Jahrhunderts wurde auch in Sichertshausen ein Arbeiter-Turnverein
gegründet. Zunächst kamen einige junge
Männer zusammen, um sich dem Sport zu widmen.
Sie stellten eine Fußballmannschaft auf, die bald an verschiedenen
Freundschaftsspielen teilnahm.
Im Jahre 1924 wurde dann der
Turn- und Sportverein Sichertshausen aus der Taufe gehoben. Balthasar Schneider wurde zum Vorsitzenden
und Georg Findt zum Rechner gewählt.
Der Schwerpunkt der Ausübung lag im Fußballspiel und in der Leichtathletik. Turngeräte wie Barren, Reck und Pferd wurden
angeschafft, sie standen noch bis in die späten fünfziger Jahre den
Schulkindern zur Verfügung.
Die Fußballmannschaft schloß
sich schließlich mit guten spielerischen Ergebnissen einer Liga im nördlichen
Landkreis Gießen-Wetzlar an. Besonders
stark aber war der Verein in der Leichtathletik. Er hatte mit den Mitgliedern Johannes Will und Fritz Schneider
zwei Sportler in seinen Reihen, die sich mit ihren Leistungen im 3000-m-Lauf
bzw. im Hochsprung auf regionalem Gebiet zeigen konnten.
Die politischen Wirren der
frühen dreißiger Jahre gingen auch hier nicht spurlos vorüber, und es kam
schließlich zu einer Spaltung des Vereins, die dazu führte, daß er seine
Aktivitäten einstellte. Im Jahre 1933
wurde der Turn- und Sportverein Sichertshausen aufgelöst und die Geräte der
örtlichen Schule zur Benutzung übergeben. (63)
Die damaligen Mitglieder des
Turn- und Sportvereins Sichertshausen:
Balthasar Schneider Georg Findt
Heinrich Weimer Adam Weimer
Ludwig Weimer Konrad Dietz
Johannes Dietz Daniel Gilbert
Heinrich Hemer Ludwig Will
Heinrich Happel Karl Happel
Fritz Schneider Peter Will
Erich Will Heinrich Dietz
Heinrich Jung Wilhelm Jung
Anton Jungermann Wilhelm Jungermann
Karl Baduin Wilhelm Brömer
Johannes Dietz Konrad Schneider
Peter Dietz und andere (64)
Neben dem Arbeiter-Turnverein
gab es noch den Arbeiter-Gesangverein, über den wir aber später berichten
wollen.
Die Not in den
Arbeiterfamilien war groß; fast alle waren mit Kindern reich gesegnet, von
denen kaum eines einen Beruf erlernen konnte.
Sobald die Kinder aus der Schule entlassen waren, blieb ihnen nur die
Möglichkeit, bei einem Bauern als Knecht oder Magd in Dienst zu treten, damit
sie zu Hause nicht mehr Kost und Wohnung beanspruchen mußten. In den kleinen Arbeiterhäuschen herrschten
sehr ärmliche Wohnverhältnisse. Für
Eltern, Großeltern und etwa sechs Kinder waren nur zwei oder drei Wohn- und
Schlafräume vorhanden.
Die Bauern hatten Besitz und
Vieh, sie brauchten, weil es noch keine Maschinen gab, viele Arbeitskräfte.
Statt Traktoren wurden Kuhgespanne
(2) (3) eingesetzt. An Geld blieb auf den Höfen am Jahresende
nichts übrig, wenn man von wenigen Ausnahmen absieht. Die Höfe der Bauern waren
deshalb in einem entsprechenden Zustand. Die produzierte Milch wurde auf dem
Hof zu Butter und Käse verarbeitet. Die
wenigen, für den Markt anfallenden Produkte waren Butter, Eier, Geflügel und
etwas Obst und Gemüse. Für die
Vermarktung waren in Sichertshausen hauptsächlich Katharina Scheid und
Elisabeth Dietz zuständig. An Markttagen
fuhren sie mit ihren Waren von Friedelhausen mit dem Zuge nach Gießen, wo sie
auf dem Wochenmarkt ihre Stammkunden belieferten. Die übrige in Sichertshausen anfallende Milch wurde von Elisabeth
Dietz und ihren Kindern auf einem Milchwagen mit Hundegespann (einem schweren Rottweiler)
nach Fronhausen zum Bahnhof gefahren, mit dem Zuge nach Marburg zum
Milchhändler gebracht und dort als Frischmilch verkauft. Die Weltwirtschaftskrise 1929-1933 wirkte
sich auch in Sichertshausen katastrophal aus. 29 Arbeitslose, hauptsächlich
ledige,junge Männer, mussten jede Woche in Lohra ihr Stempelgeld, 10 bis 20
Reichsmark, abholen. (26). Hier noch zwei Bilder einer Schulklasse von Lehrer Aßmann
um das Jahr 1930 und ein Bild des Maurerpoliers Heinrich Will mit Johannes Sauer und Hans
Kraft um das Jahr 1935.
Die Motorisierung
Eines der ersten Motorräder
besaß Wilhelm Brömer. Er kaufte 1929
eine 500 ccm Ardie zum Preis von 990 Reichsmark. Die Maschine hatte 9 PS und lief 90 bis 100
Stundenkilometer. Bis zum Zweiten
Weltkrieg gab es 20 Motorradbesitzer im Dorf:
Konrad Staubitz NSU 200 ccm
Kaspar Fischer NSU 300 ccm
Konrad Fischer Quick 98 ccm
Findt Schüttoff 500ccm
Heinrich Hoß DKW 300 ccm
Konrad Grau Horex 500 ccm
Adam Findt Horex 500 ccm
Konrad Bodenbender NSU 200
ccm
Friedrich Schneider DKW 200 ccm
Adam Happel DKW 300 ccm
Heinrich Will Excelsior 300 ccm
Wilhelm Brömer Ardie 500 ccm
Heinrich Jung Viktoria 200 ccm
Wilhelm Jung D-Rad 500 ccm
Balthasar Schneider Schüttoff 500 ccm
Konrad Will NSU 350 ccm
Heinrich Will Diamant 300 ccm
Ludwig Will NSU 300 ccm
Heinrich Behrens Trumpf 200 ccm
Heinrich Happel Zündapp 200 ccm
In Sichertshausen existierten
zwei Tankstellen, Gustav Koch hatte eine Esso-Tankstelle, und Schmiedemeister
Heinrich Will (Karls) betrieb eine Shell-Tankstelle.
Das erste Auto besaß 1937
Heinrich Hoß und ab 1945 Gustav Koch.
Erst nach der Währungsreform 1949 nahm die Motorisierung zunächst mit
Motorrädern und dann mit Autos mächtig zu.
Im Jahre 1986 waren in Sichertshausen etwa 150 Autos und 8 Motorräder
gemeldet, und in der Landwirtschaft liefen ca. 25 Traktoren. (26)
Die Zeit des Nationalsozialismus
Es
gibt mehrere Erklärungen für den nationalsozialistischen Aufstieg: eine straffe
Führung, Aufbau des Führermythos, eine Volksgemeinschaftsideologie, perfekte
Propaganda, Terror gegen den innenpolitischen Gegner, der wirkungsvolle Appell
an antimarxistische und antikapitalistische Einstellungen, Ausnutzung der
Weltwirtschaftskrise, für welche die NS-Propaganda leicht faßliche
Erklärungsmuster in Gestalt von Feindbildern - Juden, Marxisten - bereithielt.
Öffentliche
Arbeitsbeschaffung, beginnender Konjunkturaufschwung und Verbesserung der
Wirtschaftslage ließen 1933 die Arbeitslosenziffer von 6 auf 4 Mio.
sinken. Das trug zur Stabilisierung des
NSRegimes bei. (50)
Am 30. Januar 1933 war
Hitler mit seiner Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) an
die Macht gekommen. Die Partei setzte
in den folgenden Monaten die demokratischen Institutionen Zug um Zug außer
Kraft. Sie übernahm alle Funktionen im
öffentlichen Leben. Sie verfolgte den
Andersdenkenden, verhaftete Juden und brachte sie in Konzentrationslager, die
bald als Vernichtungslager funktionierten.
Bis 1945 wurden dort Millionen Menschen gequält, gefoltert, erschlagen,
vergast.
Im Lande wurde den Bürgern
ein Bild vom arischen und sauberen Deutschen gezeichnet, alles Minderwertige
sollte vernichtet werden.
In Sichertshausen änderte
sich mit Beginn der Naziherrschaft zunächst nicht viel. An nationalen Feiertagen hingen
Hakenkreuzfahnen an den Häusern. Die
Partei achtete darauf, daß sich in jedem Haus eine Hakenkreuzfahne befand. Der große Kastanienbaum am Anfang des
Oberdorfes erhielt die Bezeichnung Adolf-Hitler-Baum, und der Platz wurde
Adolf-Hitler Platz genannt. Es gab auch
in Sichertshausen einige SA-Leute und sogar alte Kämpfer, die sich aber zum
Glück nicht besonders hervortaten.
Weiter oben hatten wir erfahren, daß es in Sichertshausen viele
Motorsportler gab. So war es nicht
verwunderlich, daß sich motorradbegeisterte junge Leute dem NSKK
(Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps) anschlossen. Jungen und Mädchen wurden im Jungvolk, in der Hitlerjugend und im
Bund Deutscher Mädchen zusammengeschlossen, das ehemalige Gemeindehaus wurde
umgestaltet, dort fanden die Heimabende mit Schulung und Gesang statt.
Bürgermeister Gilbert blieb
weiterhin im Amt. Ende März 1933 wurde
die gewählte Gemeindevertretung aufgelöst.
Die neuen Gemeinderäte wurden berufen, in Sichertshausen waren das die
meisten der früheren Gemeindevertreter, so daß sich in der Gemeindepolitik
nicht viel änderte. Um. die Stellung
der Partei zu stärken, erschien am 5. August 1937 der Gauamtsleiter der NSDAP,
Dr. Schultz, zu einer Sitzung des Gemeinderates und berief den damaligen 2.
Beigeordneten Konrad Hemer zum 1. Beigeordneten. Konrad Hemer war bereits Ortsbauernführer und konnte nun mehr
Einfluß im Dorf nehmen.
Die Partei und ihre
Gliederungen organisierten alljährlich das Erntedankfest mit einem großen
Umzug.
Die abschließende Feier fand
dann auf dem mit der Hakenkreuzfahne geschmückten Schulhof statt, Reden wurden geschwungen,
Lieder gesungen.
In Sichertshausen lebten
keine jüdischen Bürger, doch trieben die Sichertshäuser mit den Juden aus Treis
einen regen Handel. Fast täglich kamen
jüdische Händler mit Vieh und Textilien aus Treis nach Sichertshausen. Bald aber wurden diese Geschäfte von der
Partei verboten, und sie erloschen kurz vor Kriegsbeginn. Die Juden waren entweder ausgewandert oder
ins KZ gebracht worden.
Dann schlug das
unmenschliche System auch in Sichertshausen zu. Ein Ehepaar mußte sich zwangssterilisieren lassen. Und der geistig behinderte H. St. wurde in
eine Anstalt eingewiesen und dort umgebracht.
Sieht man von diesen beiden schrecklichen Schicksalen ab, so kam Sichertshausen
relativ glimpflich über die dunkle Zeit der Naziherrschaft. Die Ortsbürger konnten glücklich sein, in
Johannes Gilbert einen Bürgermeister zu haben, der es verstand, in schwierigen
Situationen ausgleichend zu wirken.
Nach Kriegsende begann die
Entnazifizierung. Auch ein paar Leute
aus Sichertshausen mußten sich vor der Spruchkammer verantworten. Lehrer Aßmann erhielt einige Jahre
Berufsverbot und dann seine Versetzung nach Josbach. Konrad Hemer zählte mit seiner niedrigen Parteibuchnummer zu den
alten Kämpfern. Die Spruchkammer
verurteilt ihn, weil er bei den Erntedankfesten Reden gehalten hatte. Er mußte 1 Morgen Land an Flüchtlinge
abgeben und 3000 Reichsmark bezahlen.
Nach einer Eingabe der Gemeindevertretung von 1949 wurde das Spruchkammerverfahren
erneut aufgenommen. Jetzt wurde die
Verpflichtung zur Abgabe von Land aufgehoben (weil keiner da war, dem man es
hätte geben können) und die Sühne auf 300 Mark festgesetzt.
Hier sollen zwei Beispiele
folgen:
Die Spruchkammer
Marburg-Land
Marburg/Lahn, den 4.9. 1946
Auf Grund des Gesetzes zur Befreiung
von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 erläßt die
Spruchkammer Marburg-Land I bestehend aus
1. Kreisverwaltungsdirektor
... als Vorsitzender
2. Landwirt Johannes...,
Oberndorf
Bürgermeister Heinrich..., Goßfelden als Beisitzer
3. --- als öffentlicher Kläger
4. Angestellte ... als Protokollführer
gegen den Landwirt ... in
Sichertshausen, wohnhaft in Sichertshausen Nr....
im schriftlichen Verfahren
folgenden Spruch:
Der Betroffene wird in die Gruppe
der Minderbelasteten eingereiht. Die
Bewährungsfrist wird auf 2 Jahre festgesetzt.
Während der Dauer der Bewährungsfrist verliert er das aktive und passive
Wahlrecht, das Recht, sich politisch zu betätigen und einer Partei oder einer
Gewerkschaft anzugehören. Er darf
während dieser Zeit nicht anders als in gewöhnlicher Arbeit beschäftigt werden.
Es werden ihm folgende
Sühnemaßnahmen auferlegt:
Er hat für den
Wiedergutmachungsfond einen Beitrag von RM 500,- zu zahlen, zahlbar bis
1.1.48. Als zweite Sühnemaßnahme hat er
zur Linderung der Flüchtlingsnot unentgeltlich 1 komplettes Bett mit
Bettwäsche, 1 Kleiderschrank und 2 Stühle abzugeben.
Die Kosten des Verfahrens
werden dem Betroffenen auferlegt. Der
Streitwert wird auf unter RM 2000,festgesetzt.
gez.
3 Unterschriften
Die Spruchkammer
Marburg-Land
Den 6.10.1947 Auf Grund des
Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März
1946 erläßt die Spruchkammer Marburg-Land bestehend aus
1 . Assessor ... als Vorsitzender
2. Johannes..., Dreihausen
Peter..., Dreihausen
Karl..., Wetter
Heinz..., Bracht als Beisitzer
3. Heinz ... als öffentlicher
Kläger
4. Angestellte
... als Protokollführer
gegen den..., geb. am ... in
Sichertshausen, wohnhaft in Sichertshausen Kreis Marburg/Lahn auf Grund der
mündlichen Verhandlung folgenden Spruch:
Der Betroffene wird als
Minderbelasteter in die Gruppe III der Verantwortlichen eingereiht. Er hat als
einmaligen Beitrag zu einem Wiedergutmachungsfond RM 3000,-zu leisten, an deren
Stelle im Falle der Nichtbeitreibbarkeit 30 Tage Arbeitsleistung treten. Ferner
hat er der Gemeinde Sichertshausen zur Verteilung an Flüchtlingsfamilien 1
Morgen Land zu übereignen.
Die Bewährungsfrist wird auf
3 Jahre festgesetzt. Für die Dauer der
Bewährungsfrist ist ihm untersagt: a) ein Unternehmen als Inhaber,
Gesellschafter, Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer zu leiten oder ein
Unternehmen zu beaufsichtigen oder zu kontrollieren, ein Unternehmen oder eine
Beteiligung daran ganz oder teilweise zu erwerben; b) in nicht selbständiger
Stellung anders als in gewöhnlicher Arbeit beschäftigt zu sein; c) als Lehrer,
Prediger, Redakteur, Schriftsteller oder Rundfunk-Kommentator tätig zu sein. Für die Dauer der Bewährung verliert der
Betroffene das aktive und passive Wahlrecht.
Die Kosten des Verfahrens
werden dem Betroffenen auferlegt.
Der Streitwert wird auf RM
2700,- festgesetzt.
gez.
5 Unterschriften (53)
Die von den Siegermächten eingeleitete
Entnazifizierung wurde vielfach zur Bereinigung alter Fehden ausgenutzt, so daß
der politische Wert der Spruchkammerverfahren sehr bald an Gewicht verlor. Auch in Sichertshausen wurden Leute zur
Sühne verurteilt, die politisch überhaupt nicht in Erscheinung getreten waren.
Was von der Kommission nicht beurteilt werden konnte, war die Geisteshaltung
der Menschen. Ein mühsamer Lernprozeß
setzte ein, der viele Jahre dauerte. Es
bedurfte großer Anstrengungen, sich vom nationalsozialistischen Gedankengut zu
befreien. (75)
Die Freiwillige Feuerwehr
wurde im Jahre 1933
gegründet. Sie war, wie alle Vereine im
Dritten Reich, nach dem Führerprinzip ausgerichtet. Jeder Angehörige der Feuerwehr mußte arischer Abstammung sein und
einen Eid ablegen. Anfangs trugen die
Männer beige Uniformen, die im Jahre 1935 gegen blaue Tuchröcke ausgewechselt
wurden. Schneidermeister Matthäi
fertigte die neuen Uniformen nach Maß in solider Handarbeit an.
Bei Alarm fuhr ein von der
Feuerwehr bestimmter Mann mit dem Fahrrad durch das Dorf und blies
Trompetensignale. Als Spritze diente
eine Doppelkolbenhanddruckspritze, an der an jedem der beiden Holme vier bis
sechs Mann pumpen mußten. Der
Spritzenwagen wurde von einem besonders schnellen Pferdegespann gezogen. Bei jedem schweren Gewitter wurde den
Pferden vorsorglich das Geschirr schon angelegt. Das größte Problem war jedoch, daß man kein Wasser über lange
Strecken befördern konnte. In schwierigen
Situationen wurde deshalb eine Eimerkette gebildet, es beteiligten sich oft bis
zu hundert Menschen, darunter auch viele Frauen.
Die letzte große
Feuersbrunst in Sichertshausen im Jahre 1929 vernichtete die Scheunen Hoss
(Matthäis) und Lemmer (Schneiderjusts).
Mit dem Jahre 1940 hörte das
Vereinsleben fast völlig auf, die meisten der aktiven Feuerwehrkameraden zogen
in den Krieg. Ältere Jahrgänge und Frauen hielten jetzt den Brandschutz
aufrecht. Diese »Ersatzwehr« kam im
Frühjahr 1945, als in Fronhausen einige Gehöfte von amerikanischen Tieffliegern
in Brand geschossen worden waren, zum Einsatz und leistete dort sehr gute
Arbeit. Im Jahre 1946 begann unter dem
damaligen Ortsbrandmeister Andreas Rink der Neuaufbau. Viele Kameraden waren aus dem Kriege nicht
zurückgekehrt.
Im Jahre 1953 wurde im
Oberdorf ein Gerätehaus gebaut, das heute aber nur noch als Lagerschuppen der
örtlichen Vereine genutzt wird.
Das erste
Bezirksfeuerwehrfest fand im Jahre 1956 auf Bingels Wiese an der Bach (jetzt
Umgehungsstraße) statt. Am Festzug
nahmen 23 Feuerwehren teil. Mit dem Bau
der Wasserleitung im Jahre 1955 wurde die Wasserversorgung entscheidend
verbessert, nun konnte die Feuerwehr mit Hydranten arbeiten.
Anläßlich des 25jährigen
Bestehens schaffte sich die Freiwillige Feuerwehr eine Fahne an, die am 6.Juni 1958
in einer Feierstunde in einem kleinen Festzeit »Auf dem Hofe« des Gasthauses
Will von Kreisbrandinspektor Köster geweiht wurde.
Einen Höhepunkt in der
Vereinsgeschichte bildete die Ausrichtung des Kreisfeuerwehrtages anläßlich des
30jährigen Bestehens der Freiwilligen Feuerwehr Sichertshausen am 6. und 7.
Juli 1963.
Nach der Fertigstellung des
Dorfgemeinschaftshauses im Jahre 1971 zog die Freiwillige Feuerwehr in ihr
drittes Gerätehaus. Mit dem Jahre 1974
hielt die Vollmotorisierung bei der Freiwilligen Feuerwehr Sichertshausen
Einzug, man schaffte ein TSF (Tragkraftspritzenfahrzeug) vom Typ Ford Transit
an, in das im Jahre 1982 ein Funkgerät vom Typ FuG 7b eingebautwurde.
Vom 3. bis zum 6. Juni 1983
feierte die Freiwillige Feuerwehr ihr 50jähriges Jubiläum. Am Kommersabend präsentierte der
Jugendspielmannszug der Freiwilligen Feuerwehr Leidenhofen den »Großen
Zapfenstreich«, und am Sonntagmorgen zeigten die Feuerwehrmänner bei einer
Alarmübung der Großgemeinde auf dem landwirtschaftlichen Anwesen von Heinrich
Lemmer ihr Können. Am Sonntagmittag
marschierte ein bunter Festzug durch das Dorf, anschließend vergnügten sich
viele Menschen auf dem Volksfest.
Bei der
Hochwasserkatastrophe im Februar 1984 mußten alle Feuerwehren der Großgemeinden
Fronhausen und Weimar ununterbrochen Keller leerpumpen, Dämme bauen und die
Verkehrsregelung übernehmen. Nach dem
Einsatz in Sichertshausen wurde unsere Wehr nach Argenstein beordert, wo sie
Hunderte von Sandsäcken zum Schutze des Dammes aufschichtete, um dessen Bruch
zu verhindern. Im März 1986 brannte das ehemalige Amtsgericht in Fronhausen,
das jetzt dem ASTRA e.V. zu Wohnzwecken dient.
Bei diesem größten Schadensfeuer seit Bestehen der Großgemeinde
Fronhausen verbrannten der komplette Dachstuhl und das Obergeschoß, der
Sachschaden betrug rund 800.000 DM. Die
Freiwillige Feuerwehr Sichertshausen folgte dem Hilferuf und beteiligte sich
sehr aktiv an den Löscharbeiten. Ihr
ist es auch mit zu verdanken, daß keine der 25 Personen, die dort nächtigten,
zu Schaden kam. (79)
Ortsbrandmeister in
Sichertshausen waren:
1 . Pflichtfeuerwehr bis
1933 Valentin Dietz (Anliese) Ab 1933 Freiwillige Feuerwehr
2. ab 1933 Friedrich Hettche
3. ab 1942 Gustav Koch
4. ab
1946 Andreas Rink
5. ab 1953-1973 Heinrich
Franz (später Ehren-Wehrführer)
Nach der Eingemeindung nach
Fronhausen 1971 hatte Sichertshausen nur noch einen Wehrführer:
6. ab 1973 Hans Dietz
7. ab 1978 Peter Laucht
8. ab 1980 Karl Heinz
Lemmer (65)
Der Zweite Weltkrieg 1939-1945
Der Zweite Weltkrieg brach am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen aus.
Es ging alles sehr rasch:
6. Oktober 1939 Abschluß der Eroberung Polens.
9. April 1940 Beginn der Besetzung Dänemarks und Norwegens.
10. Mai 1940 Beginn der deutschen Westoffensive.
25. Juni 1940 Waffenruhe in Frankreich.
6. April 1941 Beginn des deutschen Angriffs auf Jugoslawien und
Griechenland.
22. Juni 1941 Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion.
2. Februar 1943 Kapitulation der deutschen Truppen in Stalingrad.
Jan.-März 1945 Einbruch der Roten Armee in deutsche Ostgebiete.
Beginn der Katastrophe.
2. Mai 1945 Kapitulation Berlins.
7. Mai 1945 2.41 Uhr. deutsche Gesamtkapitulation.
9.Mai 1945 0.16 Uhr.- Wiederholung der Kapitulationsunterzeichnunq in Berlin-Karlshorst.
(50)
Der Zweite Weltkrieg
hinterließ im knapp 400 Einwohner zählenden Sichertshausen tiefe Wunden. 70
Männer hatten am Kriege teilgenommen, 27 kehrten nicht wieder zurück, 16 von
ihnen sind gefallen und 11 werden vermißt.
In den ersten Jahren merkte die Bevölkerung auf dem Lande noch nicht
viel vom Kriege. Aber als der
Rußlandfeldzug begann, gab es die ersten Gefallenen. Die Ernährung wurde immer schwieriger. Lebensmittel bekam man nur auf Karten, Tauschgeschäfte
blühten. Die Sichertshäuser sangen: »In
einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad, der Müller ist verschwunden, der
schwarz gemahlen hat«. Wer ein Schwein
schlachtete, mußte es amtlich wiegen lassen; es wurde auf die Fleischmarken angerechnet. Die Bauern hatten den größten Teil ihrer
Erzeugnisse abzuliefern.
Nachts wurde ein Wachdienst
eingerichtet, der alle zwei Stunden wechselte und ständig durch das Dorf
patroullierte. Er sollte die
Dorfbewohner vor Dieben schützen und später auch vor überraschenden
Fliegerangriffen.
Einsatz von Fremdarbeitern
Nach Beendigung des
Polenfeldzuges wurden ab 1940 polnische Fremdarbeiter in Deutschland vor allem
in der Landwirtschaft eingesetzt. Auf
den Bauernhöfen fehlten die deutschen Männer, die zum Militär eingezogen waren.
Nach Sichertshausen kam die erste Gruppe polnischer Arbeiter im Frühjahr
1941. Ein Sammeltransport für die
umliegenden Orte wurde mit der Eisenbahn nach Fronhausen geschafft. Jedes Dorf hatte ein Pferdefuhrwerk zum
Bahnhof geschickt, um die Personen und ihre Gepäckstücke aufzunehmen. Sichertshausen erhielt fünf Männer und zwei
junge Frauen. Sie wurden auf die
landwirtschaftlichen Betriebe verteilt und vorrangig in solchen Familien eingesetzt,
in denen keine französischen Kriegsgefangenen arbeiteten.
Von der Partei wurden zwar
Richtlinien für den Einsatz der Fremdarbeiter gegeben - sie sollten getrennt
gehalten werden und vor allem nicht im Familienverband wohnen und essen -, doch
bei den in Sichertshausen gegebenen Betriebsgrößen war eine Trennung bei der
Arbeit nicht möglich. Diese
Fremdarbeitergruppe wurde später durch einige Personen aus der Ukraine
ergänzt. Die Leute blieben bis zum
Kriegsende bei ihren Arbeitgebern im Dorf.
Sie wurden im allgemeinen freundlich behandelt und paßten sich auch den
Verhältnissen gut an. Im Gegensatz zu
den Kriegsgefangenen wurde ihnen eine größere Bewegungsfreiheit
eingeräumt. An Sonn- und Feiertagen
waren viele zu Fuß oder mit von den Arbeitgebern geborgten Fahrrädern
unterwegs, um Verwandte und Bekannte zu besuchen.
Die gute Behandlung zahlte
sich für die Sichertshäuser beim
Einmarsch der amerikanischen Truppen am 29. März 1945 aus. Die erste amerikanische Einheit war stark
mit Exilpolen durchsetzt. So wurden die
polnischen Fremdarbeiter in den ersten Tagen der Besetzung zu Dolmetschern und
Verbindungsleuten zu den Siegertruppen.
Einige blieben sogar bis zu ihrer Rückführung nach Polen in
Sichertshausen und gingen nicht in die von den Amerikanern angebotenen
Sammellager. Ein polnischer
Fremdarbeiter aus Sichertshausen hat nach Kriegsende eine Deutsche in einer
Gemeinde im Ebsdorfer Grund geheiratet.
Mehrere Männer und Frauen
aus Polen waren auch auf dem Friedelhäuser Hof als Arbeitskräfte
eingesetzt. Dort wurden sie nach den
von der Partei erlassenen Richtlinien gehalten und verpflegt. Nach dem Einmarsch der Amerikaner übten
diese Polen Rache für manche Demütigung und räumten das Schloß des Grafen und
die Wohnungen ihrer Aufseher aus. Bis zum Herbst 1945 kehrte ein Großteil
dieser Personen in ihre Heimat zurück.
Andere blieben noch längere Zeit als Hilfskräfte bei den amerikanischen
Truppen. (53)
Kriegsgefangenenlager
in Sichertshausen
Im Jahre 1941 kamen
französische Kriegsgefangene nach Sichertshausen. Sie wurden in den landwirtschaftlichen Betrieben als Landarbeiter
eingesetzt, denn fast alle ortsansässigen Bauern waren oder wurden zum Militär
eingezogen. In einem leerstehenden Haus
im Oberdorf (in der ehemaligen Gastwirtschaft Will, Backhaus-Schneiders) wurde
ein Gefangenenlager eingerichtet. Die
Fenster hatte man mit Eisenstäben und ausgedienten Mähmaschinenmessern
ausbruchsicher gemacht. Im Untergeschoß,
in der ehemaligen Gaststube, war der Wachraum eingerichtet und dahinter der
Schlafraum für den Wachmann. Als
Wachmänner wurden meist ältere oder verwundete, nicht mehr fronttaugliche
Soldaten eingesetzt. Die Schlafräume
für die Gefangenen befanden sich im Obergeschoß.
Tagsüber arbeiteten die
Gefangenen bei den Bauern im Hof und auf dem Felde. Im Winter gingen sie in den Wald zum Holzmachen. Essen und Trinken bekamen sie auf den
Höfen. Laut Vorschrift mußten die
Gefangenen ihr Essen an einem separaten Tisch einnehmen, in den meisten Fällen
saßen sie jedoch bei den Bauern... Der Wachmann machte Kontrollgänge, und es
gab Arger, wenn er die Gefangenen am Tisch mit den Deutschen sah. Ein
Gefangener, der auf dem Hof von Karl Bodenbender im Oberdorf arbeitete,
versuchte eines Nachts auszubrechen. Er
hatte mit einem scharfen Taschenmesser die Türfüllung herausgeschnitten, wurde
aber vom Wachmann überrascht. Er wurde
von der Arbeit in der Landwirtschaft ausgeschlossen und in ein Sonderlager
gebracht. Ein anderer Kriegsgefangener,
der auf dem Hof Bingel arbeitete, starb hier im Gefangenenlager an einem
Oberlippenfurunkel. Er wurde auf dem
Friedhof in Sichertshausen beigesetzt, im Jahre 1946 ausgegraben und in seine
Heimat nach Frankreich überführt.
Einige Gefangene arbeiteten
auch auf Höfen in Bellnhausen, sie wurden jeden Morgen vom Wachmann mit
umgehängtem Karabiner auf der heutigen Bundesstraße 3 dorthin geführt und
abends wieder abgeholt. Außerdem waren
noch Deportierte aus Polen und der Ukraine in der Landwirtschaft eingesetzt,
unter ihnen befanden sich auch viele Landarbeiterinnen in jugendlichem
Alter. Russische Kriegsgefangene gab es
nicht in Sichertshausen. Das
Zusammenleben zwischen den Ausländern und den Sichertshäuser Bürgern verlief im
großen und ganzen bis auf wenige Ausnahmen reibungslos. (26)
Der Luftkrieg
Er fing relativ harmlos
an. Zunächst wurden im Jahre 1941
hauptsächlich Brandplättchen abgeworfen, pro Angriff etwa 500 Stück. Das pharmazeutisch-chemische Institut der
Universität Marburg war die Kampfstoff-Untersuchungsstelle. Professor Brand verbreitete seine
Untersuchungsergebnisse. Das
Brandplättchen bestand aus zwei Zelluloidplatten von schwarzbrauner Farbe und 10
x 10 cm Größe. Auf der Außenseite jeder
Zelluloidplatte waren zwei 3 x 1,5 cm große Mullpäckchen mit Metalldraht
befestigt, in denen sich Phosphorstückchen von der Größe und Form eines
Pfennigstückes befanden. Zwischen den
Zelluloidplatten lag eine kautschukähnliche knetbare Masse von 0,6 bis 0,8 cm
Dicke. Unter Einfluß des Lichtes
entzündete sich der Phosphor, übertrug die Flamme auf die Zelluloidplatten, von
dort sprang die Flamme auf die kautschukähnliche Masse über, diese schmolz,
brannte längere Zeit, tropfte und übertrug so den Brand auf Holz, Getreide usw.
Auf allen Kirchtürmen saßen Posten und schauten weit ins Land. Am 19.
September 1941 sah der Turmbeobachter in Lollar Detonationserscheinungen
aus Richtung Salzböden-Odenhausen, während von Fronhausen beobachtet wurde, daß
in Richtung Sichertshausen etwa 50 Brandbomben gezündet hatten. Erst in den Morgenstunden wurde dann festgestellt,
daß der Brandbombenabwurf bei Bellnhausen zu beiden Seiten des Hochwasserdammes
stattgefunden hatte.
Im Herbst 1942 fielen die
ersten Bomben in eine Viehweide bei der Lahnbrücke in Bellnhausen und eine
ganze Reihe Stabbrandbomben entlang des Hochwasserdammes bis
Sichertshausen. Außer der Feuerwehr gab
es in Sichertshausen noch einen besonderen Luftschutz. Er war speziell für die Bekämpfung von
kleineren Bränden, hervorgerufen durch Brandbomben, ausgebildet. In jedem Hause standen auf dem Dachboden
Eimer mit Wasser und Sandsäcke zur Brandbekämpfung.
1943 kamen die ersten
evakuierten Frauen und Kinder aus den bombengefährdeten Ballungsgebieten zu
uns. Eine Kommission ging durch das
Dorf und sah sich nach leerstehenden und leerzumachenden Zimmern um, in die
dann diese Leute eingewiesen wurden.
Von 1944 an wurde die Lage
ernst. Unser Gebiet war durch die
Eisenbahnlinie, die Brücken und das Werk Buderus in Lollar arg gefährdet. Seit dem Sommer 1944 gab es ständig Luftkämpfe
und Fliegerangriffe über dem Lahntal und dem Ebsdorfer Grund. Deutsche Jäger des Typs Me 109 von den
Fliegerhorsten Paderborn und Kitzingen wehrten Angriffe feindlicher Flugzeuge
ab und wurden dabei massenweise abgeschossen.
Die meisten der zwanzigjährigen Piloten starben, wurden in den Kirchen
von Ebsdorf, Hassenhausen und in der Schule Hachborn aufgebahrt und dann auf
den Gemeindefriedhöfen beigesetzt. Ein
Kommando vom Fliegerhorst Bracht unter Führung des Stabsfeldwebels L. erschien
jedesmal an der Absturzstelle, sammelte die Leichenteile ein und barg die
Munition.
Seit September 1944 wurde
die Lage bedrohlich. Immer öfter wurden
die Bahnhöfe Niederwalgern und Fronhausen mit Bomben angegriffen. Gefreiter Oskar St. war durch Streifschuß an
Schulter und Arm verwundet worden. Da
seine Maschine Blutspuren zeigte, stand einwandfrei fest, daß er nicht aus
Feigheit vor dem Feind, sondern erst nach seiner Verwundung abgesprungen war. So brauchte er kein Kriegsgerichtsverfahren
zu befürchten.
Seit Ende Dezember 1944
wurde die Lage katastrophal. Alle paar
Tage erfolgten Tieffliegerangriffe mit Bordwaffenbeschuß auf Eisenbahnzüge,
Lastkraftwagen und einzelne Menschen auf Straßen und Feldern. Sie dauerten Sekunden oder höchstens eine
Minute. Die Verluste an Menschen und
Material waren groß.
Am 24. Dezember 1944
wurden in der Gemarkung Sichertshausen drei leichte Sprengbomben, davon ein
Blindgänger, abgeworfen. Zum Glück gingen
sie außerhalb des Ortes nieder.
Am 5. März 1945 griffen etwa 25 Flugzeuge Ebsdorf und Ilschhausen
an. In 10 Sekunden waren beträchtliche
Gebäude- und Flurschäden angerichtet worden.
Am 10. März 1945 erfolgte ein Angriff auf die Gemarkung
Bellnhausen, 9 Sprengbomben fielen, darunter 1 Blindgänger.
Die Äcker waren zum Schlachtfeld
geworden.
Tiefflieger verhinderten im Frühjahr 1945 die Aussaat, was im
Jahr1946 Hunger zur Folge hatte. (13)
Vor der Schule wurde immer
ein Schüler als Horchposten aufgestellt, der sofort Alarm schlug, wenn Flieger
brummten. Dann wurden die Kinder
schleunigst nach Hause geschickt. (26)
Der Krieg ist aus
Am Abend des 27. März 1945
kam eine Menge deutscher Soldaten in unser Dorf. Sie waren auf dem Rückzug vor den herannahenden Amerikanern und
quartierten sich in Häusern, Scheunen und Ställen ein.
Im Morgengrauen des 28. März
hörte man die amerikanischen Panzer von Oberwalgern heranrollen. Die deutschen Soldaten zogen sich sofort in
die Wälder zurück und ließen viel Gerät und Material stehen und liegen. Mancher Handwagen oder Tornister von ihnen
ist heute noch vorhanden.
Die Panzer rollten von
Fronhausen über Bellnhausen weiter nach Hassenhausen; Sichertshausen wurde
zunächst nicht berührt. In Fronhausen
brannte ein Stall, in Bellnhausen gingen die Scheunen von Warsch und Seibel in
Flammen auf.
In Sichertshausen hingen aus
fast allen Fenstern weiße Fahnen oder Bettlaken. Erst gegen neun Uhr fuhr der erste Panzer in Sichertshausen ein,
ohne daß ein Schuß fiel. Die Amerikaner
durchsuchten die Häuser nach versteckten deutschen Soldaten und Waffen. Da sie nichts Nennenswertes fanden, verlief
diese erste Begegnung fast friedlich.
Einige Häuser, die am Rande
des Dorfes lagen oder sonst den Amerikanern strategisch wichtig erschienen,
mußten in der ersten Nacht geräumt werden, und die Amerikaner zogen dort
ein. Nach Süden hin war Sichertshausen
der letzte Ort, der an diesem Tage eingenommen wurde. Die Vereinigung der Truppen, die über die heutige Bundesstraße 3
heranrollten, erfolgte erst am nächsten Tage.
Unser Bürgermeister blieb im Dienst.
Für alle Personen wurde ein Ausgehverbot erlassen, ab 20 Uhr durfte
niemand mehr auf der Straße sein. Der
Bevölkerung passierte nichts. Manche
Amis suchten nur nach Eiern, Wein oder Schnaps. (26)