Die Amtszeit des Bürgermeisters Heinrich Geißler (Hosse)
März 1907 - August 1920
Seine Zeitgenossen waren: Schullehrer:
Hamel
Heinrich Immel
Gemeinderechner:
Konrad Fischer Okt.
1919-15. Okt. 1920
Heinrich Matthäi 18. Nov.
1920 - 1. März 1922
Karl Will 23. März 1922-....
Metropolitan Heinr. Eigenbrodt 1896-31.3.1926
Am 23. Februar 1907 hatte der Bürgermeister Bierau
sein Amt niedergelegt, sein Nachfolger wurde im März 1907 der bisherige erste
Schöffe, der 41jährige Landwirt Heinrich Geißler. Geißlers
Vereidigung fand am 10. April 1907
in Marburg statt. Er bekleidete dieses
Amt ununterbrochen bis 1920, mußte sich aber dazwischen im April 1917 und im
März 1919 aus Krankheitsgründen für drei Monate und dann für vier Wochen vom
ersten Schöffen Lemmer vertreten lassen, dem der Landrat die Wahrnehmung der
Dienstgeschäfte übertrug.
Ein aufregendes
Zwischenspiel gab es vom 19. Oktober
1919 bis zum 13. November 1919, als der
Schneidermeister Heinrich Matthäi zum Bürgermeister gewählt worden war. Darüber wird aber an anderer Stelle noch
mehr zu sagen sein. Am 23. August 1920 bat Geißler den Landrat um
Entbindung vom Amt, sein anhaltendes Halsleiden zwinge ihn, seinen Posten
niederzulegen. Sein Nachfolger wurde am
16. September 1920 der Landwirt
Johannes Gilbert.
Der Friedhof
Geißler fing energisch da an,
wo Bierau aufgehört hatte, nämlich beim Friedhof. Dieser wurde neu angelegt, und in der Gemeindevertretersitzung
vom 23. Oktober 1907 wurde beraten, woher und wieviel Geld für die neue Anlage
beschafft werden sollte. Die
Versammlung beschloß, ein Darlehen von 2000 Mark bei dem Bellnhäuser,
Hassenhäuser, Sichertshäuser Spar- und Darlehns-Kassenverein zu 4% aufzunehmen.
(42)
Die Schule
Im Jahre 1908 entschloß sich
die Gemeindevertretung zu umfangreichen Reparaturarbeiten an und in der
Schule. Zur Begleichung der Kosten
mußte ein Darlehen von 2400 Mark zu 4% aufgenommen werden. (42)
Der Ortsdiener
Die Gemeindevertretersitzung
vom 27. Dezember 1908 befaßte sich mit der Gehaltsveränderung des Heinrich Will
V als Schweinehirt, Ortsdiener und Nachtwächter. Es wurde beschlossen, ihn auch im nächsten Jahr zu beschäftigen,
als Schweinehirt sollte er als Lohn statt bisher 9 Mött jetzt 13 Mött
Backfrucht erhalten, das Mött zu 14 Mark gerechnet (das Mött = etwa 1 Zentner). Als Ortsdiener und Nachtwächter sollte er
von jedem nutzungsberechtigten Einwohner einen Sester und von einem jeden
sonstigen Einwohner einen halben Sester Backfrucht (1 Sester = etwa 15 Liter)
sowie 201,20 Mark zahlbar in vierteljährlichen Raten - aus der Gemeindekasse
erhalten. (42)
Der Erste Weltkrieg
Als der Erste Weltkrieg am
1. August 1914 ziemlich überraschend ausbrach, gab es bei vielen Leuten ein
lähmendes Entsetzen, besonders bei den Frauen.
Eine ernste, würdige, weihevolle Stimmung lag über dem Dorf, besonders
immer dann, wenn wieder einige Männer ausgezogen waren, nachdem sie auf dem
Amtsgericht in Fronhausen ihr Testament hinterlegt hatten. Bald nach Kriegsausbruch wurde behauptet,
daß sich viele feindliche Spione in Deutschland befänden. Diese sollten vor allem den Aufmarsch durch
Zerstörung von Eisenbahnbrücken, Tunnels und Bahnhöfen stören. Nun beobachtete man jeden Fremden. Man stellte sich Spione verkleidet vor, etwa
als Dame, als Nonne, als Krankenschwester, sie sollten sogar deutsche
Offiziersuniformen tragen. Vielleicht
schlichen sie auch als Handwerksburschen einher.
Mehr als einmal kam durch
den Fernsprecher die amtliche Meldung, ein feindliches Auto mit Insassen
(genaue Beschreibung derselben und Angabe der Autonummer) sei durch die
deutsche Front gekommen. Deshalb wurden
überall Wachen aufgestellt, die Tag und Nacht keinen ohne Paßkontrolle
durchließen. In unserem Dorf war das Wachlokal in dem ehemaligen Hemerschen
Hause (unterhalb von Bäckermeister Lemmer, 1917 hieß der Besitzer Baduin,
welcher während des Ersten Weltkrieges zugezogen war). Wer Wache gestanden hatte, konnte sich auf
dem dort ausgebreiteten Stroh ausruhen, bis er wieder ablösen musste. Zur
Absperrung der Straße benutzte man eine lange, starke Wagenkette, die von der
mächtigen Telegraphenstange bis hinüber zu dem Baum der Allee gespannt
wurde. Damals war das ein
unüberwindliches Hindernis. Mit der
Zeit wurde die Kraftfahrzeugsperre nicht mehr so streng gehandhabt, nach drei
Wochen wurde sie aufgehoben.
Zu den Aufgaben der Wache
gehörte auch der Schutz der Telegraphenleitung bis nach Bellnhausen und in
anderer Richtung bis zur darmstädtischen Grenze.
Bei Einrichtung des
Wachdienstes wurde er die ersten Tage und Nächte nur von zwei hiesigen
Einwohnern versehen, die später als Frontsoldaten kämpften. Das war der Schneidermeister Heinrich
Matthäi und der Weißbinder Bernhard Will.
Damit sie einen militärischen Eindruck machten, bewaffneten sie sich mit
einer Jägerbüchse und zogen ihre Feuerwehruniform an. Im allgemeinen wurde der
Wachdienst gerne getan. Die große Eisenbahnbrücke über die Lahn beim Schloß
Friedelhausen wurde von den Marburger Jägern bewacht. Nach eineinhalb Jahren wurden die Soldaten zurückgezogen. Mit den
Männern zogen auch die Pferde in den Krieg.
Gleich zu Beginn mußten die Pferde in Marburg zur Musterung vorgeführt werden. Eine besondere Kriegspferdekommission, deren Vorsitzender der Marburger Landrat von Löwenstein war, entschied, welche Tiere zum Kriegsdienst tauglich waren. Von den Sichertshäuser Pferden wurden nur drei in Marburg behalten, nämlich das von Bäckermeister Lemmer, von Landwirt Heinrich Lauer und Gastwirt Ludwig Bingel. Der bezahlte Preis war höher als der seinerzeitige Friedenspreis. Am Mittwoch, vier Tage nach der Mobilmachung, kam ein ganzer Wagenpark mit Bespannung, lauter Bauernpferde aus dem Kreise Kirchhain, auf dem Wege nach Gießen durch unser Dorf. Das war die Fuhrparkkolonne für das 18. Armeekorps. Ein Bruder von Lehrer Immel war Fahrer eines Wagens, deshalb fuhr der Lehrer Immel nach Gießen mit. Auf dem »Trieb« in Gießen nahmen Trainoffiziere den Transport in Empfang, die Fahrer wurden am Abend entlassen.
Siegesmeldungen
Täglich einmal gab die
Heeresleitung einen amtlichen Tagesbericht heraus. Er wurde nur der Presse gegeben, die ihn dann in den Städten
aushängte. Die Dorfbewohner mußten
warten, bis die Zeitung kam. Sie
erschien sehr unpünktlich. Die
Sichertshäuser waren genauso erpicht auf die Nachrichten vom Kriegsschauplatz
wie die Städter. Wer nach Besorgungen
aus der Stadt wieder heimkehrte, wurde mit Fragen nach den neuesten Meldungen
bestürmt. Den Sichertshäusern konnte
keine größere Freude bereitet werden als wenn jemand ein »Extrablatt«
mitbrachte. Das erste Sonderblatt kam
durch den Schuhmacher Konrad Fischer ins Dorf.
Es enthielt die Siegesmeldung des bayerischen Kronprinzen Rupprecht von
der großen Lothringer Schlacht vom 18. bis 20. August 1914, die eine größere
Ausdehnung hatte als alle Schlachten von 1870/71 zusammengenommen. Die Sichertshäuser konnten den Bericht nicht
oft genug lesen. (49)
Elektrifizierung
Am 4. August 1915 erfolgte
die Unterzeichnung eines Vertrages zwischen Sichertshausen und Marburg. Sichertshausen wurde an die allgemeine
Stromversorung durch die Stadtwerke Marburg angeschlossen. Den Bau der Anlagen führte die Firma Siemens
& Schuckert aus. Da für die
Erdarbeiten und den Leitungsbau russische Kriegsgefangene eingesetzt wurden,
konnte die Maßnahme sehr billig durchgeführt werden. Die Gesamtkosten betrugen etwa 17 000 Reichsmark.
Baumaßnahmen
Am 22. Mai 1916 bat
Bürgermeister Geißler den Kreisausschuß um die Genehmigung, ein
Gemeindegrundstück von 9 a auf den Behläckern öffentlich meistbietend
versteigern zu dürfen. Die Gemeinde sei
dazu genötigt, weil sie auf dem für 1656 Mark erworbenen Spiel- und Turnplatz
noch eine Abortanlage errichten müsse. - Lange Zeit geschah nichts, erst am
20. Januar 1918 meldete dann Geißler
dem Kreisausschuß, daß die Gemeinde den Verkauf des Grundstücks erst nach dem
Kriege vornehmen wolle. (42)
Im Januar 1919 wurden die
Bachbrücke als Ersatz für den alten Bachsteg
und die Lahnbrücke
gebaut. Die Bauwerke wurden durch die
Kasseler' Firma Sauerwein & Schäfer erstellt. Die Kosten betrugen ca. 100.000 Reichsmark. 5/6 des Betrages gab
der Staat als Beihilfe zur Notstandsarbeit.
Der Stundenlohn für die Helfer aus Sichertshausen betrug 1 Reichsmark.
(52)
Das
Ende des Ersten Weltkrieges
Der
Krieg war verloren, am 3. November 1918 meuterte die Kriegsmarine in Kiel. Die
Matrosen weigerten sich, zur Deckung der Nordflanke des Heeres auszulaufen,
weil die Niederlage doch nicht mehr abzuwenden sei. Sie hissten die rote Fahne.
Das Flottenmanöver mußte abgebrochen werden, 600 Matrosen wurden
verhaftet. Daraufhin schlossen sich aber
100.000 Matrosen den aufständischen Zivilisten an, besetzten die Stadt Kiel und
bildeten »Arbeiter- und Soldatenräte«.
Von Kiel und Hamburg aus griff der Zusammenbruch der militärischen
Disziplin rasch weiter um sich. Die
Revolution erfaßte viele deutsche Städte. Auch im Kreise Marburg entstanden
»Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte«.
Erinnern wir uns an den
Schneidermeister Heinrich Matthäi, der zu Beginn des Krieges in
Feuerwehruniform einsatzfreudig den Wachdienst in Sichertshausen übernommen
hatte. Wie bekannt, wurde er bald
Frontsoldat. Als er heimgekommen war,
fand in Sichertshausen am 19. Oktober
1919 die Wahl des Bürgermeisters statt.
Matthäi kandidierte auch. Er
erhielt bei der Wahl 5 Stimmen, Heinrich Geißler 3 und Adam Lemmer 1 Stimme.
(14)
Noch am selben Tage schrieb
der 1. Schöffe Lemmer an das Landratsamt, daß die Gemeinde das Resultat der
heute vorgenommenen Bürgermeisterwahl als einen furchtbar niederschmetternden
Schlag empfunden habe. Eine Welt war in
Sichertshausen zusammengebrochen, weil bekannt war, daß Matthäi dem Bauern- und
Landarbeiterrat angehörte. Lemmer bat
den Landrat, falls ihm das Recht dazu zustünde, Matthäi als Bürgermeister zu
verwerfen. Gleichzeitig begann im Ort
ein Kesseltreiben gegen Matthäi. Man
wühlte in seiner Vergangenheit und führte schmutzige Argumente an, weshalb man
ihn auf diesem Posten nicht haben wollte.
Matthäi war sehr feinfühlend und kämpfte nicht um das Bürgermeisteramt,
er gab schon am 28. Oktober 1919 auf.
Er zog seine Einwilligung zur Annahme der Wahl wieder zurück. Die Wogen in der Gemeinde ebbten allmählich
wieder ab, und am 16. September 1920 konnte der Landwirt Johannes Gilbert zum
Bürgermeister gewählt werden. Jetzt
hatte die Gemeinde nichts dagegen, daß Matthäi zum Gemeinderechner bestellt
wurde. Der Vertrag sah vor, daß Matthäi
nicht nur die Gemeindesteuern, sondern auch alle Staatssteuern und Renten zu
erheben hatte. Er bezog als
Staatssteuererheber ein jährliches Salär von 350 Mark aus der
Gemeindekasse. Er mußte als Kaution
einen Betrag von 1.000 Mark stellen.
Dieses Geld wurde in der Repositur des Bürgermeisters aufbewahrt. Matthäi versah das Amt bis zum 1. März 1922,
dann bat er um Entlassung, weil er nicht in der Lage sei, »die Geschäfte so zu
führen, daß die Mehrzahl der Einwohner damit zufrieden wäre«. Sein Nachfolger wurde am 23. März 1922 Karl Will, der als
Rechnungsführer, der Zeit und der Geldwährung entsprechend, 600 Mark Sold
erhielt. Als Kaution stellte er 1.000
Mark Kriegsanleihe. (14)
Matthäi lebte als geachteter
Mann weiter im Dorf. In den Jahren 1923
und 1924 hatte man ihn zum Beigeordneten gewählt. Noch heute erinnert man sich an ihn und schildert ihn als korrekten
Menschen, der stets bestrebt war, seinen Pflichten schnell nachzukommen. Er nahm alles sehr genau und lebte ein
stilles Leben.
Bilder:
Dreschmaschine auf dem Hof
Gilbert vor dem 1. Weltkrieg