Die Amtszeit des Bürgermeisters
Johannes Bierau
1883-1907
Seine Zeitgenossen waren:
Schullehrer Hamei 1864 bis
nach 1893.
(Die Schreibweise des Namens
in der Akte vom
13.5.1870: Hahmel, Hamel; im
Verzeichnis zum Rezeß vom 27. Juni
1870: Hormel)
Schulinspektor Pfarrer Franz
in Treis a. d. L. um 1870-1873
Ober-Schulinspektor
Metropolitan Sippel in Oberweimar 1870
Landrat Keller 1870-1872
Gemeinderechner: Heinrich
Schneider 11 bis 1887 Georg Will 1887-1890
Heinrich Schwarz 1890-1899
Konrad Fischer 1899-1908 und
bis 15. Okt. 1920
Pfarrer Heinrich Eigenbrodt
1896-31.März 1926
Am 1. Mai 1883 wurde der Ackermann Johannes Bierau zum Bürgermeister von Sichertshausen gewählt. Er war der Schwiegersohn vom zurückgetretenen Bürgermeister Johannes Stingel.
Buderus
Im
Oktober 1853 erwarb Justus Kilian aus Wolfsgruben Kreis Biedenkopf zwei
Grundstücke in Lollar und errichtete zwei kleine Hochöfen. Am 5. Juni 1854 wurde das erste Roheisen
(Masselstücke) gegossen. Das Hüttenwerk erhielt nach Kilians Tochter Hedwig den
Namen »Hedwigshütte«. Im Jahre 1857
ging der Betrieb an Kilians Schwiegersohn August Zimmermann über, der ihn am
15. Oktober 1861 an die Firma Buderus
in Hirzenhain verkaufte. Nun wurden
große Hochöfen, Schmelzherde, Gießereien und eine Vernickelungsanstalt
gebaut. Das Werk erhielt den Namen
»Main-Weser-Hütte« und wurde von dem 24jährigen Georg Buderus übernommen.
Am
Anfang wurden etwa 50 bis 60 Arbeiter beschäftigt.
1869
betrug die Belegschaft 135 Mann.
1900
betrug die Belegschaft 250 Mann, darunter befanden sich viele ledige Arbeiter
aus der Umgebung.
1912
betrug die Belegschaft 1200 Mann.
1928
betrug die Belegschaft 19 1 0 Mann.
Am
Ende des vorigen Jahrhunderts konnten sich viele Ortseinwohner von
Sichertshausen nur kümmerlich von der Landwirtschaft ernähren. Sie verschafften sich einen zweiten
Verdienst, indem sie auf die Hütte nach Lollar gingen. Sie verdienten dort nicht viel, der
Wochenlohn betrug etwa 10 bis 15 Mark.
Durch die zusätzliche Arbeit war es ihnen möglich, ihren Lebensstandard
zu erhöhen. Die Arbeitszeit betrug 12
Stunden. Viele Männer begaben sich noch
während der Nacht auf den Fußweg zur Hütte und kamen erst bei Dunkelheit wieder
heim. Freizeit gab es nur am Sonntag.
(27-30)
Landwirtschaft, Handwerk und Gewerbe Sichertshausen war bis zur Mitte des
20. Jahrhunderts ein Dorf, in dem
Landwirtschaft, Handwerk und dörfliches Kleingewerbe die bestimmenden Faktoren
waren. Auch die in der Industrie von
Lollar und Mainzlar beschäftigten Sichertshäuser hatten fast ausnahmslos noch
einige Felder und eine kleine Viehhaltung, die der Versorgung der Familie mit
den Grundnahrungsmitteln diente.
Während die Struktur der
landwirtschaftlichen Betriebe in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts
praktisch unverändert blieb, waren in den folgenden 35 Jahren gewaltige
Umwälzungen festzustellen. Dieser Prozeß der Umwandlung ist noch nicht beendet
und wird bis zum Jahre 2000 andauern.
Diese Entwicklung wurde
ausgelöst durch die enorme Steigerung der außerlandwirtschaftlichen Einkommen,
verbunden mit einer erheblichen Verkürzung der Arbeitszeit. Im gleichen Zeitraum stiegen die Preise für
landwirtschaftliche Erzeugnisse nur geringfügig. Die Arbeit in der Landwirtschaft wurde durch die Mechanisierung
zwar erleichtert, konnte aber in den viehhaltenden Betrieben durch die ständige
Steigerung der Gesamtgrößen nicht verkürzt werden. Die Entwicklung ging in den vergangenen Jahrzehnten vom
Vollerwerbsbetrieb zum Nebenerwerbsbetrieb, deren Zahl in Zukunft aber im Zuge
des Generationswechsels erheblich zurückgehen wi rd.
Landwirtschaftliche Betriebe 1950 1985
Vollerwerbsbetriebe 19 1
Nebenerwerbsbetriebe 11 13
Viehhaltung 1950 1985
Pferdehalter 10 2
Pferde 24 2
Rindviehhalter 39 7
Rinder 215 162
Schweinehalter 53 19
Schweine 3245 250
Ziegenhalter 26 0
Ziegen 46 0
Landwirtschaftliche Zugmasch. 1950 1985
2 26
Gewerbebetriebe 1939 1985
Die letzte Gewerbeerhebung
stammt aus dem Jahre 1939
Baugeschäfte 1 0
Gastwirtschaften 1 1
Lebensmittelläden 3 1
Schuhmacher 2 0
Schreiner 2 0
Schmiede 2 0
Stellmacher 1 0
Schneider 2 0
Weißbinder 1 0
Korbmacher 1 0
Besenbinder 1 0
Tankstellen 2 0
(53)
Viele Dorfnamen weisen auf altes Handwerk hin
Schreiner
In Schreinersch hatte der Schreinerhannes
eine Schreinerei. Später befand sich in
diesem Hause bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts ein
Kolonialwarengeschäft.
Im Hause Scheld haben seit
1850 drei Generationen Schreiner gewirkt: Konrad Scheid, Heinrich Scheld und
Johannes Scheld. Die Frau des Konrad
Scheld war eine geborene Scherer, daher der Dorfname Scherersch.
Eine Schreinerei betrieb
auch Karl Koch und später Friedrich Koch, doch dürfte der Dorfname Zimmermanns
auf einen Zimmermann hindeuten. Die
Ortsbezeichnung am Zimmerplatz wäre damit in Zusammenhang zu bringen.
Ludwig Lauer hatte eine
Schreinerei im Hause Waldläfersch in der Gass, sie wurde bis zum Jahre 1927
betrieben.
Eine weitere Schreinerei
gehörte Ludwig Will. Er hatte das Haus
von einem Verwandten gekauft, der es ursprünglich für ein Gasthaus gebaut
hatte. Später richtete Ludwig Will ein
Kolonialwarengeschäft ein, das bis nach dem Zweiten Weltkrieg existierte.
Walter Gabriel, ein
Fiüchtling aus Ostpreußen, eröffnete 1946 eine Schreinerei im Oberdorf im Stall
des Hofes Hemer. Nach dessen Tod 1950
übernahm Josef Konhäuser, ein Flüchtling aus dem Egerland, die Schreinerei bis
1955.
Schuhmacher
Otte Kaspar (Fischer) war
Schuhmacher wie schon sein Vater. Als Schuhmacher
wirkte auch Heinrich Dietz (Anneliese Schuster). Er hatte auch das Amt des Trichinenbeschauers inne und war für
die Dörfer Sichertshausen, Hassenhausen und Erbenhausen zuständig. Der Dorfname Schusters weist auf dieses
Handwerk hin. Das Haus Schusters
(Bodenbender) war früher das erste Haus im Dorf und war Zollhaus, nach dem
Situationsplan heißt es richtiger Chausseehaus.
Heinz Will eröffnete 1949 in
seinem Elternhaus im Hause Rupperts an der Hauptstraße eine Schuhmacherei, sie
bestand bis 1951.
Schneider
Der Name Schneider-Justs
weist auf eine Schneiderei hin, welche vom Schneider Just betrieben wurde. Der heute lebende Sohn Just hat auch noch
dieses Handwerk erlernt.
Eine weitere Schneiderei befand
sich im Hause Retler, wo Schneidermeister Heinrich Matthäi arbeitete. Er war auch der Erbauer des Hauses im Jahre
1905.
Wagner
Der Dorfname Warsch (Findt)
weist auf das Wagnerhandwerk hin, welches in diesem Hause ausgeführt
wurde. Das Handwerk wird zwar nicht
mehr betrieben, wurde aber bis in die jüngste Generation erlernt. Weitere Wagner oder Stellmacher waren
(Steffels) Heinrich sowie dessen Vater.
Im Hause (Steffels) befand sich auch ein Kolonialwarengeschäft. Johann Hoss hatte ebenfalls eine
Stellmacherei (Matthäis).
Schmied
Das Schmiedehandwerk wurde
zuerst in der Gass in Lemmersch ausgeführt, zuletzt von Konrad Gilbert und
dessen Bruder Daniel in der Hintergass, Dorfname Daniels. Der Sohn von Daniel Gilbert, der ebenfalls
Daniel hieß, war auch noch Schmied.
Der Dorfname Goateschmids
(Gilbert, heute Hofmann-Findt) weist auf das Schmiedehandwerk hin (die Schmiede
im Garten), dies ist das Stammhaus der Gilberts.
Das Haus und die Schmiede
Karls wurde erst um 1900 erbaut. Der
Schmied Karl Will war auch jahrzehntelang der Gemeinderechner. Thomas Retler aus Fronhausen übernahm Karls
Schmiede von Heinrich Will. Später
kaufte Thomas Retler das Haus von Schneidermeister Matthäi und betrieb dort die
Schmiede.
Weißbinder
Der Dorfname Weißbindersch
bezeichnet das Weißbinderhandwerk, welches hier über mehrere Generationen zu
Hause war. Die Vertreter der beiden
letzten Generationen, Bernhard Will und sein Sohn Heinrich waren
leidenschaftliche Jäger. Weißbindersch
soll ein früheres Brauhaus vom Gasthaus Kurts gewesen sein. Vor dem Haus befindet sich einer der drei
Dorfbrunnen, aus dem das Wasser zum Bierbrauen entnommen wurde.
Nach dem Zweiten Weltkriege
eröffnete Johannes Becker im Oberdorf ein Weißbindergeschäft. Er stammte aus Kirchvers und war ein
Lehrling von Bernhard Will. Johannes
Becker heiratete Emmi Brömer.
Gasthäuser
Im Hause Lauer - Dorfname
Leppersch - befand sich das älteste Gasthaus.
Ein weiteres Gasthaus war im Hause Lemmer - Dorfname Kurts - eingerichtet. In diesem Hause wurde bis nach dem Ersten
Weltkriege eine Bäckerei betrieben; der Schornstein der Bäckerei stand bis in
die 60er Jahre unseres Jahrhunderts, auf ihm nisteten jahrelang Störche in
einem großen Storchennest.
Ein weiteres Gasthaus gab es
bis 1936 im Oberdorf, Dorfname Backhausschneiders Anndiene.
Weit bekannt war das
Gasthaus Bingel bis 1945. Vor der
Motorisierung wurde dieses Gasthaus von den Fuhrleuten aufgesucht, um dort zu
übernachten und die Pferde versorgen zu lassen. Von dort aus wurde auch mit Pferden Vorspann geleistet, um die
Berge am Ortsausgang bewältigen zu können.
Dies bestätigt auch der Flurname "Abspann«. Von dort an ging es bergab in Richtung
Lollar.
Im Jahre 1945 eröffnete
Konrad Will (Konny) an der Hauptstraße im ehemaligen neuen Zollhaus eine
Gastwirtschaft. Er heiratete seine
zweite Frau Lina geb. Bingel. Das Gasthaus wurde nach Linas Tod im Jahre
1969 geschlossen.
Im Jahre 1957 eröffneten
Thomas und Elisabeth Retler an der Hauptstraße eine Gastwirtschaft. (26)
Die Schule
Wenige Monate nach seinem
Amtsantritt bemühte sich Bierau um die Verbesserung der Lebenssituation des
Lehrers. Unter Bieraus Leitung
behandelte der Gemeinderat am 12.
Januar 1884 Fragen der Wirtschaftsgebäude der Schule. Der Kuhstall mit dem Heuboden darüber sowie
zwei Schweineställe und der Holzstall waren äußerst baufällig. Man wollte sie abreißen und neu
aufbauen. Der Lehrer Hamel wünschte nur
ein einziges Gebäude, eine Scheuer. Auf
die Ställe sollte der Heuboden gesetzt werden, neben den Ställen war eine Tenne
vorgesehen, in dem die Früchte vom Ackerland der Schule ausgedroschen werden
konnten. Nach dem Drusch wollte der
Lehrer dort Brennholz, Früchte und Stroh aufbewahren.
Um die Baugenehmigung zu
erhalten, reichte Bierau am 6. Februar 1884 folgende Baubeschreibung dem
Landrat ein: »Die geplante Scheuer
wird auf dem Schulhof
am nördlichen Ausgang des Dorfes (Hintergasse) erbaut, sie stößt auf keine
Landstraße und auf keinen Gemeindeweg«.
Im nächsten Monat erteilte der Landrat die Baugenehmigung, im Juli war
die Scheuer fertig und wurde dem Lehrer Hamel zur Benutzung übergeben. Der Ortsvorstand war jetzt allgemein bereit,
zur Werterhaltung des Schulhauses beizutragen.
Der Schulvisitationsbericht des Jahres 1886 verlangte eine Neudielung
der Wohnstube des Lehrers. Da der
erforderliche Sand erst nach der Heuernte herbeigeschafft werden konnte, gab es
eine kleine Verzögerung, bis Bierau am 7. August 1886 die neugedielte Wohnstube
dem Schullehrer übergeben konnte.
Wahlen
Die Sozialdemokratie
Nach dem Kriege 1870/71 war
das Deutsche Reich unter Preußens Führung entstanden. Der Reichstag wurde mit
Einschränkungen vom Volk gewählt, erstmals traten Parteien auf. Später als die Konservativen und die
Liberalen traten die Sozialdemokraten auf. Diese politische Vertretung des
Arbeiters wurde viel geschmäht und mißverstanden. 1878 wurden zwei Attentate
auf Kaiser Wilhelm I. verübt und daraufhin der Reichstag aufgelöst. Nach der Neuwahl wurde im Oktober 1878 das
Sozialistengesetz angenommen, das u. a. die Auflösung von sozialistischen
Vereinen brachte. 1890 wurde die Sozialdemokratie erstmals stimmstärkste
Partei.
Die Arbeiterbewegung
Die Zeit von 1880 bis 1914
war erfüllt von gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen
Spannungen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich die
Industrialisierung durch. Eine
ungeheure Freisetzung der bisher selbständigen Handwerker setzte ein. Der vierte Stand, die
Industriearbeiterschaft, strömte in die Fabriken. Ihre Forderungen nach besseren Lebensbedingungen und der
Sicherung der materiellen Existenz wurden immer lauter. Zunächst nur zögernd begann sich das Gefüge
der Gesellschaft zu verändern.
In Lollar wurde die
Gewerkschaft der Metallarbeiter früh gegründet. Die Ausstrahlungen dieser Organisation drangen bis in die
umliegenden Dörfer, woher ein Teil der Eisenarbeiter kam.
Im Jahre 1904 entstanden in
Sichertshausen, Heskem, Dreihausen und Fronhausen Innungen, die den Berufsarten
der Bekleidungsherstellung, der Metall-, Holz- und Lederverarbeitung dienen
sollten. (27-30)
Am 2. April 1898 fand in
Sichertshausen eine Schöffenwahl statt, die am 7. April vom Einwohner Georg Will
angefochten wurde. Bierau wehrte sich,
indem er Will negativ charakterisierte: Will sei als Wahlagitator bekannt, er
sorgte z. B. bei Reichstagswahlen dafür, daß Sichertshausen reichlich mit
Wahlplakaten versorgt wurde.
Bei der letzten
Gemeinderatswahl agitierte er für einen Kandidaten sozialdemokratischer
Richtung.
Georg Will habe in der
Gastwirtschaft Adam Lemmer nach 23 Uhr bei einem Glase Branntwein den Wirt mit
Wahlsachen belästigt.
Will habe am 6. März, also
kurz vor der Wahl, bis spät in die Nacht hinein in der Gastwirtschaft Will beim
Branntwein gesessen. Er habe mit
anderen Gesinnungsgenossen über Wahlangelegenheiten gesprochen und geäußert,
»es muß alles anders werden«. Und
dieser Satz brachte Bierau vollkommen aus der Fassung: »Wenn ich mit Leuten,
die solche Grundsätze haben wie er, in der Gemeinde zusammenarbeiten muß, so
lege ich lieber mein Amt nieder«.
Der Gemeinderechner
Dieses Amt war besonders
verantwortungsvoll, und es war sehr schwierig, eine ordentliche Buchführung
vorzulegen. Nach der Vorschrift mußte
der Gemeinderechner das Geld der Gemeinde von dem seinigen streng getrennt
halten. Am 30. Juni 1887 starb der Gemeinde-Erheber
Heinrich Schneider II. Der Ackermann
Georg Will wurde am 9. Juli 1887 zum Erheber auf die Dauer von drei Jahren
bestellt. Da er sich in ziemlich guten
Vermögensverhältnissen befand, glaubte die Gemeindevertretung, auf Leistung
einer Kaution verzichten zu können. Häufig kam es vor, daß nach dem Tode eines
Rechnungsführers bei der Revision der Gemeindekasse festgestellt wurde, daß die
Buchführung in letzter Zeit nicht ordnungsgemäß war. Dann war man gezwungen, von der Witwe Ersatz der Fehlsummen zu
verlangen.
Der nächste Rechnungsführer
wurde der Landwirt Heinrich Schwarz für die Zeit vom 1. Juli 1890 bis 1. Juli
1893.
Bierau schloß einen
Dienstvertrag mit dem Ackermann und Schuhmacher Konrad Fischer, der vom 1. Juli
1899 bis zum 30. Juni 1902 zum Gemeinderechner bestellt wurde. Der Vertragsabschluß allein genügte noch
nicht, der Landrat mußte den Gemeinderechner ernennen und den Vertrag
bestätigen. Fischer erhielt eine feste
Besoldung von 55 Mark jährlich als Gemeinderechner und 20 Mark als Erheber der
Staatssteuern. Er bewahrte die Bücher,
Belege und den Kassenvorrat in einer verschließbaren Tischschublade in der
Wohnstube auf, die zugleich als Schlafstube diente. Die Wertpapiere, Sparkassenbücher und Urkunden hingegen wurden
beim Bürgermeister aufgehoben. Konrad
Fischer amtierte als Gemeinderechner bis zum 15. Oktober 1920.
Im Jahre 1906 betrugen die
Einnahmen in die Gemeindekasse 1039 Mark und 21 Pfennig, die Ausgaben beliefen
sich auf 1028 Mark. Vom Gemeinderechner
Fischer wurden bei der Revision Mitte Dezember 1906 11 Mark und 21 Pfennig als vorhandener Kassenvorrat aufgezählt.
(14,42)
Aus dem Gemeindehaushalt
1887
wurden in Sichertshausen insgesamt 44 (männl.) Gemeindeglieder
in den Listen zu ( 1 ) ( 2 ) und ( 3 ) notiert.
Für Benutzung des Backhauses wurde 1891 durch die
Orts-Polizeibehörde in Person des Bürgermeisters Bierau eine Backhaus-Ordnung erlassen.
Am 13. März 1901 lebte in Sichertshausen die blinde
Elisabetha Wack. Die Gemeinde bekam
einen Verpflegungsbeitrag von der Kreiskommunalkasse (in Marburg) und mußte
vierteljährlich die Verpflegungskosten an die Landes-Renterei in Wolfhagen
einreichen.
Am 14. Oktober 1902 verkaufte die Gemeinde eine
kleine Fläche von 9 qm aus dem Gemeindegrundbesitz zum Preise von 6 Mark pro
Quadratmeter an Heinrich Geißler. Der Erlös
wurde bei der Stadtsparkasse in Marburg verzinslich angelegt.
Im Jahre 1902 wurde die
Reparatur des Gemeindehauses dringend erforderlich und ausgeführt.
Am 4. April 1903 stellte die
Gemeindevertretung fest, daß der Kostenvoranschlag weit überschritten war. Um die notwendigen 650 Mark bezahlen zu
können, mußte die Gemeinde ein Darlehen von 400 Mark bei dem Bellnhäuser,
Hassenhäuser, Sichertshäuser Spar- und Darlehnskassenverein zu Bellnhausen mit
10% Abtrag aufnehmen, weil die notwendige Summe nicht aus den laufenden
Einnahmen und Gemeindesteuern gedeckt werden konnte.
Am 11. Juli 1903 erhielt
Sichertshausen von der Abteilung für Kirchen- und Schulwesen bei der
königlichen Regierung eine einmalige Beihilfe zu den sachlichen
Schulunterhaltungskosten von 50 Mark. (42)
Im Gemeindehaushalt 1895/96
wurde ein Posten für den außergewöhnlichen Bau einer Brücke eingesetzt. Im Januar 1899 wurde der Lahnsteg durch Hochwasserfluten
fortgerissen. Am 27. Januar fand eine
Sitzung der Gemeindevertretung statt, in der man über die Ausführung von
Lahnuferbauten und Wiederherstellung des Steges beriet. Die entstehenden Kosten veranschlagte man
mit 300 Mark. Dieses Geld sollte durch
ein Darlehen aufgebracht werden. Dann
aber wurde das Geld doch auf einem anderen Wege beschafft. Die Gemeinde verkaufte am 18. Februar 1899 ein 6 a und 40 qm großes
Gemeindegrundstück für 384 Mark an den Schuhmacher Conrad Fischer. 300 Mark brauchte
die Gemeinde zur Deckung der außergewöhnlichen Ufer- und Brückenbaukosten, der
Restbetrag von 84 Mark wurde bei der Sparkasse zu Marburg verzinslich angelegt.
(42)
Konfirmandenunterricht in Treis
Im Jahre 1904 wurden die
letzten Konfirmanden aus Sichertshausen in Treis konfirmiert. Bis zu diesem Zeitpunkt mußten die jungen
Menschen jede Woche am Freitag durch den Wald nach Treis gehen. Im Winter war dieser Weg oft sehr
beschwerlich, weil die Kinder kein wetterfestes Schuhwerk und keine
Winterbekleidung besaßen. Besonders die
Mädchen, die alle noch Hessentracht trugen, hatten unter Schnee und Eis sehr zu
leiden.
Zur Konfirmation spannte
dann Bauer Bingel einen großen Leiterwagen an und fuhr alle Konfirmanden mit
ihren Eltern und Paten nach Treis. Nach
der Kirche wurden die Sichertshäuser und ihre Eltern von den Treisern zum
Kaffee eingeladen. Der Treiser Pfarrer
besaß eine Baumschule; jeder Konfirmand bekam als Geschenk ein Obstbäumchen,
das er in seinem Heimatort pflanzte.
Am Sonntag darauf kamen die
Treiser nach Sichertshausen zum Kaffeetrinken.
Nach einem Spaziergang durch den Ort ging man oft nach Bellnhausen und zeigte
den Gästen die Lahnbrücke, weil sie ein solches Bauwerk in dieser Größe noch
nie gesehen hatten. (26)
Baumaßnahmen
Am 3. Juni und 1. Juli 1905
fanden Sitzungen der Gemeindevertretung statt, die sich mit Bauarbeiten an der
Kirche zu beschäftigen hatten.
Der Turm brauchte ein neues
Schieferdach, die südliche und westliche Seite der Kirche eine neue
Beschieferung; die Männerbühne mußte erneuert werden, die Eingangs- bzw. Ausgangstüren wollte man ersetzen und den
Fußboden mit Tonplättchen belegen.
Und schließlich waren im Inneren der Kirche Maler- und Anstreicherarbeiten auszuführen. Das alles erforderte einen Kostenaufwand von 3600 Mark. 600 Mark genehmigte das königliche Konsistorium in Kassel aus dem Sichertshäuser Kirchenkasten. Die politische Gemeinde Sichertshausen erkannte die Verpflichtung zur Zahlung der restlichen 3000 Mark nicht an, war aber bereit, diese Summe als freiwillige Spende herzugeben. Das Geld wurde mit Hilfe eines Darlehns zu 4% bei dem Bellnhäuser, Hassenhäuser, Sichertshäuser Spar- und Darlehnskassenverein zur Verfügung gestellt. Ein Abtrag wurde nicht gezahlt, weil in der nächsten Zeit der Ankauf eines neuen Totenhofes notwendig werden würde. Dann sollte sowohl zur Rückzahlung dieser Schuld als auch zur Bezahlung des Totenhofes ein Darlehen bei der Landeskreditkasse aufgenommen werden. (42)
Wenige
Jahre zuvor, nämlich am 1. Mai 1893 hatte die Gemeinde Sichertshausen beim
Lehrer Hamel ein Darlehen von 190 Mark aufgenommen, um eine Kirchenorgel von
der Gemeinde Lützellinden zu kaufen.
Lehrer Hamel half dann noch einmal leihweise mit 100 Mark aus, um die
erste Rate an den Orgelbauer Ludwig Eichhorn aus Weilmünster für teilweise
Erneuerung, Reparatur und Aufstellung der Orgel zahlen zu können. (42)
Bürgermeister Bierau tritt
zurück. Im
Zusammenhang mit der Kirche ist auch Bieraus Abgang zu sehen. Am 23.
Februar 1907 schrieb er an das königliche Landratsamt zu Marburg: »Von
einer Anzahl hiesiger Einwohner, namentlich vom Presbyterium, werde ich
beschuldigt, die Anlegung des neuen Friedhofs absichtlich verzögert zu
haben. Die Verzögerung ist jedoch nicht
meine Verschuldung, ich muß deshalb annehmen, daß ich in der Gemeinde das
Vertrauen, welches zur Führung des Bürgermeisteramtes erforderlich ist, nicht
mehr genieße, deshalb lege ich hiermit das Bürgermeisteramt nieder.«
Kanalisierung des Oberdorfs
Im Frühjahr 1905 war die
Kanalisierung des Oberdorfs und die teilweise Neuchaussierung der Straße
daselbst vorgenommen worden. Die entstandenen
Kosten von 1360 Mark konnten nicht aus den laufenden Einnahmen und Steuern
bezahlt werden. Deshalb wurde ein
Darlehn von 400 Mark bei der Bellnhäuser, Hassenhäuser und Sichertshäuser Spar-
und Darlehnskasse zu Bellnhausen mit einer Verzinsung von 4% und einem
jährlichen Abtrag von 5% aufgenommen. (42)
Die Feuerwehr
In Sichertshausen gab es
eine Pflichtfeuerwehr. Im Februar 1894
hatten die Feuerwehrleute an einer auswärts stattgefundenen Feuerwehrübung
teilgenommen. Diesen Wehrmännern wurde auf
einstimmigen Beschluß des Gemeinderats eine Entschädigung für den Zeitverlust
gewährt. Pro Person wurden 60 Pfennig
aus der Gemeindekasse gezahlt. (42)
Der Weg von
Sichertshausen zur Bahnstation Friedelhausen
Etwa um das Jahr 1885 wurde zwischen den
Stationen Lollar und Fronhausen der Main-Weser-Bahn in nächster Nähe des Ortes
Odenhausen die Haltestelle Friedelhausen eröffnet. Freiherr Adalbert von Nordeck zur Rabenau wollte für sein Schloß
Friedelhausen eine gute Zufahrt zur Bahnstation haben. Deshalb baute er vom Hofgut Friedelhausen
zum Bahnkörperdurchlaß und weiter auf eigenem Grund neben dem Eisenbahndamm bis
zur Haltestelle Friedelhausen einen Fahrweg.
Dieser Weg wurde als »Privatweg« bezeichnet und durfte nur mit Erlaubnis
des Grundeigentümers benutzt werden.
Nach Eröffnung der
Haltestelle Friedelhausen hatten die Einwohner von Sichertshausen die
Möglichkeit, mit der Bahn nach Lollar und Gießen zu fahren, was besonders an
Markttagen geschätzt wurde. Um die
Station zu erreichen, benutzten sie zunächst den sogenannten »grünen Weg«, dann
die Lindenallee, kamen am Schloß und am Gutshof vorbei und gingen den
neuerbauten Privatweg längs dem Damm bis zum Haltepunkt der Bahn. Die Lindenallee war vom Freiherrn Adalbert
von Nordeck zur Rabenau vor vielen Jahren neu angelegt worden, auch sie war ein
»Privatweg«.
Der alte Freiherr war ein sehr leutseliger Herr und verbot nie die Benutzung des an seinem Schloß vorbeiführenden Weges, obwohl er die Passanten auf den von alters her bestehenden Fußweg, der unterhalb des Schlosses an der Lahn entlang zum Hofgut führte, hätte verweisen können.
Etwa um das Jahr 1905 nahm
an Werktagen die Zahl der vorbeiziehenden Menschen und an Sonntagen die Zahl
der Schaulustigen dermaßen zu, daß die »das Schloß umlagernden, gaffenden
Dorfbewohner als besonders lästig« empfunden wurden (Zitat Rechtsanwalt
Rosenberg, 1914). Daraufhin ließ der
neue Inhaber des Gutes, Graf Eberhard von Schwerin, an der Lindenallee und in
der Nähe des Hofgutes Schilder anbringen: »Privatweg«. Um den Sichertshäusern entgegenzukommen,
legte er gleichzeitig den auf der Skizze rot markierten Ersatzweg durch den
Waldpark an. Dieser sollte so lange
genutzt werden, bis der vom Grafen projektierte, auf seinem Grund liegende,
grün gezeichnete Weg als Fahrstraße, als Wirtschaftsweg gebaut werden konnte
(»Lahnweg«). Für diesen Weg war auch
Gelände aus der Gemarkung Sichertshausen notwendig. Es sollte kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Nachher entschädigte der Graf aber doch den
betroffenen Bauern Dörr aus Sichertshausen.
Es wurde vereinbart, daß der Graf den Ausbau des Weges und die spätere
Unterhaltung allein übernahm; Eigentümerin des Weges wurde die Gemeinde
Sichertshausen.
Der grün markierte Weg wurde
auf Wunsch der Sichertshäuser aus zwei Gründen abgeändert, er sollte
hochwasserfrei sein, außerdem sollte er nicht zu stark ansteigen. Darum wünschten sie, daß er ganz in die
Böschung eingeschnitten werde. So würde
er über das höchste Hochwasser zu liegen kommen, außerdem könnte man so die
Vernichtung wertvoller Wiesenflächen vermeiden.
Führte man den Weg zwischen
Schloß und Hofgut, so würde er zu stark ansteigen, darum sollte er unterhalb
des Hofgutes zwischen diesem und der Lahn liegen. Der Graf übernahm es, zur Vermeidung von Unglücksfällen bei
Hochwasser an den gefährdeten Wegestrecken Geländer und Prellsteine anzubringen
und eine Schutzhecke zu pflanzen.
Die geschilderte Situation
stellt den Stand von 1914 dar. Was
weiter geschah, ist leider den Akten nicht zu entnehmen. Erst am 22. Mai 1940 wurde vermerkt, daß die
Hecke noch nicht angelegt sei. Nach dem
Vertrag sollte sie an der Böschung nach der Lahnseite hin gepflanzt
werden. Diese Böschung wird aber bei
Hochwasser mit Eisgang derart in Mitleidenschaft gezogen, daß in die Hecke
ständig Lücken gerissen werden würden.
Deshalb wurde im September 1940 vertraglich vereinbart, daß der Graf an
der gefährdeten Wegestrecke ein festes Schutzgeländer anzubringen hatte, zu
dessen Instandhaltung er sich ebenfalls verpflichtete. (12)
Erinnern wir uns: Im Jahre 1851 konnte die Gemeinde Sichertshausen die Kirchhofsmauer nicht bauen, weil durch Bauvorhaben in der Umgebung, so auch durch den Schloßbau in Friedelhausen, die Löhne der Maurer mächtig angestiegen waren. Ferner erinnern wir uns, daß Eberhard Graf Schwerin im Jahre 1905 die Schaulustigen von seinem Schloß fernhalten wollte, weil sie störten. Das war just zu der Zeit, als der Dichter Rainer Maria Rilke auf Schloß Friedelhausen zu Besuch weilte. Und schließlich interessiert uns das Gut Friedelhausen noch aus einem dritten Grunde, dort fanden viele Sichertshäuser Arbeit.
Als
erster Lehensträger des Gutes Friedelhausen, das heute in der Gemarkung
Staufenberg liegt, erscheint die Familie von Rolshausen, die seit 1353 auf dem
Staufenberg saß.
Friedrich
II. von Rolshausen war in seiner Jugend sehr arm gewesen und ließ sich deshalb
zu den Soldaten anwerben. Er wurde
Oberst des Landgrafen Philipp des Großmütigen, zog mit einer Armee im Jahre
1562 nach Frankreich, um an den Religionskriegen teilzunehmen. Er schlug sich tapfer auf Seiten der
Hugenotten und kehrte mit reicher Kriegsbeute in die Heimat zurück. Er war jetzt in der Lage, 1564 den
Herrensitz in Friedelhausen zu bauen, den man »Klein-Frankreich« nannte. Heute ist jenem Herrensitz - genannt Hofgut
Friedelhausen - nicht mehr viel von dem einstigen Prunke anzusehen.
Im
Jahre 1670 verkaufte Otto von Rolshausen, Oberst in schwedischen Diensten,
dieses Lehen für 4250 Taler an Burkhard von Selle aus Wittgenstein. Dessen
jüngere Tochter Johanna Louise heiratete Bernhard von Düring. Die Dürings stellten etliche Offiziere, aber
von Ackerbau und Forstwirtschaft verstanden sie wenig. Das Gut verkam.
Der
letzte, der es bewirtschaftet hatte, war Leutnant Heinrich von Düring,
gestorben um 1850. Seine Witwe
Katharine zog nach Staufenberg und heiratete dort den Schreiner Seibertshausen. Von dieser Katharine verw. v. Düring und
Hauptmann Baron Ludwig Düring kaufte Adalbert v. Nordeck zur Rabenau das Gut
Friedelhausen am 6. Dezember 1851/9. Juli 1852 für 11000 Gulden.
Adalbert von Nordeck zur Rabenau (1817-1892)
war 1847 Kreissekretär in
Grünberg, 1848 Mitglied des Frankfurter Vorparlamentes und Fürsprecher für die
Gleichstellung der Juden. Im Frühjahr
1848 lernte er in Frankfurt die Korrespondentin der Londoner »Times«, die
reiche Vollwaise jüdischer Herkunft, Clara Phillips aus London, kennen. Am 4. Januar 1849 fand dort die Trauung
statt.
Von Nordecks
Vermögensverhältnisse waren im Vergleich zu denen seiner Frau recht
bescheiden. Beim Kauf des Gutes und dem
nachfolgenden Bau des Schlosses wurden finanzielle Mittel aus Claras Vermögen
eingesetzt. Das etwas verkommene alte
Herrenhaus in Friedelhausen genügte nicht mehr den Wohnansprüchen der v.
Nordecks, das neue Schloß wurde in den Jahren 1852 bis 1856 für 102 000 Gulden
im englischen Tudor-Stil errichtet. Die
Formen der englischen Spätgotik wurden aus dem harten Londorfer Lungstein
gemeißelt. Der Gutsbetrieb schaffte
eigens für den Transport des Steinmaterials aus den Steinbrüchen Londorfs sechs
Paar Pferde an, und der Weg, die sogenannte »Pflaumenallee«,wurde chaussiert. Um das Schloß wurde ein englischer Park
angelegt, so daß die aus England gebürtige Schloßherrin sich in ihrer neuen
Wahlheimat wohlfühlen konnte.
Das Musische gehörte zum
festen Bestandteil des Lebens auf Friedelhausen. Adalbert von Nordeck sowie auch seine älteste Tochter Luise veranstalteten
mit Freunden oft Liebhaber-Theateraufführungen.
Graf Karl v. Schwerin
Luise von Nordeck
(1849-1906), Erbin von Friedelhausen, heiratete den Grafen Karl v.
Schwerin. Durch Gräfin Luise wurde
Friedelhausen zum Treffpunkt von Künstlern und Gelehrten. Der Biologe Jakob v. Uexküll heiratete 1903
Luises Tochter Gudrun von Schwerin (1878-1969).
Rainer Maria Rilke (1875-1926)
Im Zusammenhang mit
Friedelhausen soll nur auf zwei Auffälligkeiten im Leben Rilkes, des
»Verführers mit schönen Versen«, hingewiesen werden. Er war ständig auf Reisen, in vier Jahren brachte es der Unstete
auf fast 50 verschiedene Adressen. Er
führte sein Leben im Dunstkreis reicher Mäzene, meist weiblichen
Geschlechts. Freundinnen sicherten
seine finanzielle Unabhängigkeit. In
ihren Landhäusern und Schlössern fand er die nötige Muße zum Dichten.
Die zweite Eigentümlichkeit
war, daß er sofort wieder abreiste, wenn er nicht genügend Einsamkeit
vorfand. Es kam vor, daß ihn bereits
ein Dielenknakken verjagte.
Im März 1905 weilte Gräfin
Luise v. Schwerin in Dresden zur Kur.
Dort lernte sie Rainer Maria Rilke kennen, der sich ebenfalls im
Sanatorium »Weißer Hirsch« aufhielt.
Sie lud ihn nach Friedelhausen ein, wo er am 28. Juli 1905 eintraf. Im großen Bibliothekszimmer trug er Gedichte vor. Mit Jakob v. Uexküll betrieb er
Kant-Studien.
Gräfin Luise v. Schwerin
drängte den Dichter, die schon 1899 verfaßte kampfselige »Weise von Liebe und
Tod des Cornets Christoph Rilke« in Buchform herauszubringen. Später trugen Kriegsfreiwillige in beiden
Weltkriegen den Text in ihren Taschen und konnten die Eingangszeilen auswendig:
»Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten.«
Rilke kam auch im nächsten
Jahr vom 8. September bis 3. Oktober 1906 nach Friedelhausen zu Besuch, dieses
Mal brachte er seine Frau Clara und die fünfjährige Tochter Ruth mit. (44-47)
Friedelhausen als Arbeitsplatz
Zu dem Herrschaftshaus in
Friedelhausen hatten die Sichertshäuser seit langer Zeit gute Beziehungen. Es war für sie im 19. und bis in die
fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts ein bedeutender Arbeitgeber. Fast alle Leute waren einmal als Tagelöhner
oder Handwerker in Friedelhausen tätig.
Damals wurde der Hof noch ohne Maschinen bewirtschaftet, und so brauchte
man viele Helfer.
Das Hofgut
Friedelhausen war immer
verpachtet. Dort wurde Feld- und
Viehwirtschaft betrieben. Die Arbeiter
auf dem Hof waren fast ausschließlich -Saisonarbeiter oder Tagelöhner, die meist
nur einige Wochen oder Tage beschäftigt wurden. Oft waren es nur durchziehende Wanderburschen. Aus Sichertshausen haben auf dem Hof
gearbeitet: Heinrich Seckinger, Adolf Seckinger, Heinrich Findt, Heinrich
Dietz, Heinrich Behrens, Wilhelm Roth und Wilhelm Jungermann. Heinrich Will war der Milchkutscher. Er starb 1921 auf der Milchkutsche vor dem
Bahnhof in Friedelhausen an einem Herzschlag.
Die Pächter auf dem Hofgut Friedelhausen waren: Kaiser, Behrens, Dörrschug,
Schwab, Heinzmann und Richter.
Für die Feldarbeit
wurden im Frühling zehn bis
zwölf Feldmädchen, meistens aus dem Hinterland, manchmal sogar aus Polen,
eingestellt, die bis zum Herbst blieben.
Dazu kamen dann noch Tagelöhner aus Sichertshausen und Odenhausen.
In der Gärtnerei
arbeitete Valentin Dietz als
Gärtner. Sein Sohn Wilhelm Dietz
übernahm die Gärtnerei Ende der zwanziger Jahre und wohnte auch im Gärtnerhaus.
Das herrschaftliche Schloß
wurde fast ausschließlich
von festen Angestellten bewirtschaftet.
Maria Dietz aus Sichertshausen war lange Jahre als Weißmacherin für die Instandhaltung
der Wäsche verantwortlich. Katharina
Wottawa geb. Kraft arbeitete von 1964
bis 1985 auf dem Schloß.
Park und Wald
Für die Wäldereien war ein
Förster angestellt, bis 1950 war es Förster Schneider. Er lebte mit seiner Familie im Försterhaus. Bei ihm waren als Dienstmädchen beschäftigt
Anna Katharina Findt von 1926 bis 1930 und Luise Majewski, geb. Dietz von 1930 bis 1950.
Ferner brauchte man ständig
Tagelöhner und Saisonarbeiter für die Pflege des Parks rund um das Schloß und
für die Bepflanzung und Hege des Waldes sowie für den Holzeinschlag im
Winter. Bei dieser gelegentlichen
Waldarbeit waren eingesetzt Heinrich Findt, Heinrich Behrens, Heinrich Hemer,
Konrad Hemer, Katharina Behrens, Margarethe Roth.
1950 schied Johannes
Schneider aus Altersgründen aus, sein Nachfolger wurde der aus Pommern
stammende Förster Rusch, der bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1980 die
Försterei Friedelhausen übernahm. Bei
ihm arbeiteten Christine Weimer, Margarethe Will und Katharina Wottawa,
geb. Kraft.
Handwerker
aus Sichertshausen wurden
sehr oft im Hof und Schloß Friedelhausen gebraucht. Es waren Heinrich Findt als Stellmacher, Karl Will und Ludwig
Will als Schmiede, Ludwig Lauer und Johannes Scheld als Schreiner, Bernhard
Will als Weißbinder und Mädchen für alles. Nach und nach wurden immer mehr
Maschinen eingesetzt, so daß der Hof zum Schluß fast ohne menschliche
Arbeitskräfte auskam. (26)