Die Amtszeit des
Bürgermeisters Johannes Stingel
Sept. 1855-1883
Seine Zeitgenossen waren:
Schullehrer Dörr bis 1858
Schullehrer Bolbach März
1858-1864
Schullehrer Hamel 1864 -
auch noch am 7. September 1894
Schulinspektoren:
Metropolitan Klingelhöfer, Treis an der Lumda
Pfarrer Franz, Treis an der
Lumda
Ober-Schulinspektor:
Metropolitan Sippel, Oberweimar
Landräte: Rohde und Keller
Landbaumeister Regenbogen
Stingel bezog als
Bürgermeister ein Jahresgehalt von 32 Taler und wurde auf Lebenszeit
gewählt. Das bedeutete aber nicht, daß
man ihn nicht hätte abwählen können.
Nur den Bürgermeistersold auf Lebenszeit aus der Gemeindekasse konnte
man ihm nicht nehmen. Mit diesem Sold
waren alle einfachen Wege abgegolten, nur für Wege über drei Stunden Entfernung
vom Wohnort erhielt er eine Extravergütung.
Stingel legte sein Amt nach 28jähriger Dienstzeit im Alter von 74 Jahren
wegen Altersschwäche und ständigem Kränkeln am 18. April 1883 nieder.
Die Friedhofsmauer
Stingel mußte da anfangen,
wo Schneider aufgehört hatte, nämlich bei der Umfriedung des Totenhofes.
Sie war im Juni 1855 immer
noch nicht vorgenommen, denn Sichertshausen selbst hatte keine Steine und
konnte sie nicht kaufen, weil in diesem Jahr die Steine in den benachbarten
Brüchen wegen der vielen Bauvorhaben in Fronhausen und Gießen viel zu teuer waren. Außerdem hatten die Leute wegen der
verspäteten Frühjahrsbestellung keine Fuhren übernehmen können.
Im Juli 1855 schritt Stingel
dann zur Tat. Er verakkordierte die
Maurerarbeit an den Maurermeister Johannes Kaletsch aus Roth. Kaletsch wollte die Steine im Bruch
bearbeiten, so daß die Mauer nachher in kurzer Zeit errichtet werden
konnte. Scheinbar liegt der Hang zum
Pfusch zu allen Zeiten vor. Im
September war dem Landbaumeister zu Ohren gekommen, daß die Grundmauer nicht
nach Vorschrift gemauert worden war. Er zog Kaletsch zur Rechenschaft. Kaletsch hielt darauf seine drei Gesellen
an, das fehlerhafte Fundament wieder zu beseitigen. Die auf diese Weise zusätzlich entstandenen Kosten trug
Kaletsch. Er sagte zu, jetzt seine drei
Gesellen gemäß des Akkords arbeiten zu lassen, insbesondere auch die Mauer über
der Erde mit durchgehenden 11/2 Fuß breiten Steinen auszuführen.
Die Schule
Bisher war die Schulstube im
oberen Stock des Schulhauses untergebracht.
Da das Treppensteigen Unfallgefahr bedeutete und vor allem die kleinen
Kinder Schwierigkeiten beim Heruntergehen hatten, beantragte der Schullehrer
Bolbach im Sommer 1859, den Schulsaal in den unteren Stock zu verlegen. Das Zimmer unten hatte ein Fenster mehr, und
das bedeutete Helligkeit für die Schüler.
Schließlich würde man durch diese Verlegung auch noch erreichen, daß
nicht mehr so viel Schmutz durch die 50 bis 60 Schüler in den Gang, auf die
Treppe und in den Hausflur geschleppt wird.
Der kurfürstliche Schulvorstand entsprach diesem Antrag.
Nach Jahren der Ruhe hören
wir im Sommer 1864 wieder Klagen des Schullehrers. Die letzte Weißbinderarbeit am Schulhause sei 1856 ausgeführt,
und 1858 nur die Wohnstube geweißt worden. 1863 sollte das ganze Schulhaus
außen verputzt werden, und zu dem Zwecke seien auch schon 13 Maß Kalk gelöscht
worden. Dieser Kalk liege heute noch
auf dem Hof, es werden keine Anstalten getroffen, das Schulhaus in einen
ordentlichen Zustand zu versetzen, er schäme sich, wenn Fremde kommen. Er habe den Eindruck, daß der Bürgermeister
alle Reparaturen absichtlich verhindere.
Der Krieg 1866
Preußen
war der stärkste Staat unter den deutschen Bundesländern und kämpfte in diesem
Kriege gegen Österreich um die Vorherrschaft im Deutschen Bund. Alle drei in unserem
Raum zusammentreffenden selbständigen Mittelstaaten, nämlich das Großherzogtum
Hessen-Darmstadt, das Kurfürstentum Hessen-Kassel und das Herzogtum Nassau
standen dabei auf der Seite der Gegner Preußens. Durch den schnellen Sieg Preußens bei Königgrätz blieben unserer
Heimat schlimme und lange Kriegsleiden erspart. Im Ergebnis wurden in unserer Gegend Kurhessen und Nassau von
Preußen annektiert; Hessen-Darmstadt aber blieb aus politischer Rücksichtnahme
verschont, denn die großherzogliche Familie war mit den Herrschern von Rußland
und England eng verwandt.
Und
so lief das Kriegsgeschehen bei uns ab:
Im
Kreise Wetzlar sammelte sich wochenlang ein preußisches Armeekorps, die
Grenzorte waren mit Truppen überbelegt.
Die Zivilbevölkerung fürchtete sich vor einem kommenden Kriege und
versteckte Nahrungsmittel, Wertgegenstände und Geld.
Am
16. Juni 1866 setzten sich die
preußischen Truppen nach Kurhessen in Marsch, der Raum Marburg war ihr
Ziel. In die kurhessischen Dörfer kam
Unruhe, alle wehrfähigen Männer flüchteten vor den anrückenden Preußen. Sie nächtigten in Ställen und Scheunen. Die Angst war aber unbegründet, am nächsten
Tage konnten die Flüchtlinge wieder nach Hause, die Preußen hatten ihr Ziel
ohne Blutvergießen erreicht.
Im
Friedensvertrag vom 3. September 1866 zwischen Preußen und dem Herzogtum
Hessen-Darmstadt wurde bestimmt, daß alle rechts der Lahn liegenden Dörfer, die
bisher zu Hessen-Darmstadt gehört hatten, jetzt an Preußen fielen, nur
Ruttershausen und Heuchelheim wurden nicht preußisch. Die Gemeinde Treis hatte seit Jahrhunderten zu Kurhessen gehört,
jetzt wurde Treis dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt zugesprochen. (27-30)
Anbau eines neuen Schulsaales
Der Krieg von 1866 war
vorbei, da brachte der Bericht des Schulinspektors über den Gesundheitszustand
in der Schule den Stein wieder ins Rollen, d. h. die Frage nach einem
Schulneubau wurde wieder aufgeworfen.
Dem Bericht entnehmen wir, daß Abtritte für Schüler fehlten und der für den Lehrer in
schlechtestem Zustand war. 61 Schüler - 29 Knaben und 32 Mädchen - wurden
gleichzeitig in einem Schulsaal, der zu klein war, unterrichtet . Es gab keine
Ventilation, vier Fenster reichten allerdings für die Helligkeit aus, aber die
Schulmöbel waren zu niedrig und zu eng, das Trinkwasser jedoch war gut. Im Dorf gab es drei Brunnen: den Brunnen bei
der Schule, der 1971 beim Abriß der Schule und beim Neubau des
Dorfgemeinschaftshauses zugeschüttet wurde, den Brunnen bei Bingel in der
Straßenkurve, den Brunnen im Oberdorf. Die Regierung in Kassel reagierte prompt
und gab an den Schulvorstand in Sichertshausen den Auftrag, angemessene
Räumlichkeiten herzustellen, denn 315 Quadratfuß seien für 64 Kinder zu
wenig. Auch mußte der miserable Zustand
der Lehrerwohnung verändert werden. Bei
einem Umbau war unbedingt darauf zu achten, daß der Abtritt für den Lehrer
direkt vom Hause zugängig war. Die
Regierung ordnete außerdem an, eine Wandkarte von Palästina anzuschaffen. Stingels Antwort vom 8. August 1870 lautete:
Abtritte werden gebaut, sobald Holz vorhanden sein wird. Dann erteilte der Landrat Keller dem
Landbaumeister Regenbogen den Auftrag, die Erweiterung des Schulhauses zu
planen.
Der Deutsch-Französische
Krieg 1870- 1871
Unterdessen war der Deutsch-Französische
Krieg ausgebrochen. Auf die »Emser
Depesche« vom 13. Juli 1870 antwortete die französische Regierunq mit der
Kriegserklärung. In ganz Deutschland
brandete begeisterte Einmütigkeit und Opferbereitschaft auf. Die Ortseinwohner
von Sichertshausen konnten beobachten, wie Truppentransporte ununterbrochen auf
der Eisenbahn rollten. Am 18. Januar 1871 wurde König Wilhelm I. von
Preußen im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles zum Deutschen Kaiser
ausgerufen. Am 26. Februar 1871 kam es zum Vorfrieden von
Versailles, der am 10. Mai 1871 im
Frieden von Frankfurt a. M. bestätigt wurde.
Bereits im Dezember 1870
hatte Regenbogen den Platz für die Abtritte bestimmt und Zeichnungen
vorgelegt. Viele Meinungen wurden jetzt
eingeholt, besprochen und geändert. Man
war sich einig, daß die gegenwärtige Schulstube mit 8' 3" (8 Fuß 3 Zoll)
zu niedrig war. Deshalb wollte man
keine Erweiterung, sondern ein neuer Schulsaal mit angemessener Höhe sollte am
westlichen Giebel, und zwar in den Garten des Lehrers hinein, gebaut
werden. Der Schulsaal hatte bisher an
der Hauptstraße gelegen, so daß die Schüler häufig vom Unterrichtsgeschehen
abgelenkt wurden. Das würde zukünftig
an der Gartenseite besser werden.
Im Mai 1871 äußerte der Ortsvorstand
schwere Bedenken gegen einen Neubau und plädierte für lediglich eine
Erweiterung des bisherigen Saales nach der Straßenseite hin. Die Gewinnung eines größeren Raumes ersetze
die gewünschte Höhe. Der Ortsvorstand
habe während eines ganzen Menschenalters niemals die Klage eines Lehrers wegen
der mangelhaften Höhe des Schulsaales gehört.
Die Jugendzeit der jetzt Erwachsenen sei stets nur angenehm und gesund
gewesen, wie der starke Körperbau fast aller Einwohner es beweise.
Und dann äußerte Stingel
namens des Ortsvorstandes schwerwiegende Gedanken. Alles sei zu kostspielig, und wenn schon der Anbau ausgeführt
werden müsse, dann bitte nicht in diesem Jahr.
Der Ausfall der Ernte in 1870 und die Opferlasten des Kriegsjahres
lasten schwer auf der Gemeinde und ihren Einwohnern.
Im Dezember 1871 meldete
sich Stingel abermals zu Wort, die Gemeinde bitte, den Umbau um fünf bis sechs
Jahre zu verschieben:
So, wie geplant, werde der
Bau teuer und bleibe doch nur Flickwerk. Vielleicht werde schon in 15 oder 20
Jahren ein Neubau nötig. Jetzt sei das Schulhaus noch stabil und könne dem
Zwecke entsprechend genutzt werden, wenn der Lehrer, wie dies an vielen Orten
geschehe, die Schüler in zwei Abteilungen unterrichte. Drei Viertel der
Ortsbewohner hätten enorme Kriegsopfer gebracht, sie brauchten noch mehrere
Jahre, um sich davon zu erholen.
Vor 20 Jahren wurde die
jetzige Schule eingetauscht. Von den
damals entstandenen Schulden seien noch 300 Taler übrig, die verzinst werden
müßten. Kürzlich wurde eine Scheune am
Pfarrhof in Treis repariert, und Sichertshausen habe einen Beitrag von 300
Taler zu zahlen. Da das dortige
Pfarrhaus alt sei und alljährlich Kosten verursache, sei bereits die Rede von
einem notwendigen Neubau.
Sichertshausen müsse daher in allernächster Zeit mit einem anteiligen
Beitrag von 500 Taler rechnen.
Die Gründerjahre
In
den »Gründerjahren« kam es nach dem Einströmen der Milliarden aus Frankreich
nach dem Kriege 1870/71 zu einem Aufschwung der kapitalistischen Wirtschaft in
Deutschland. In dieser Zeit der
stürmischen wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung suchte die Bürgerschaft der
deutschen Städte mit Großbauten auch architektonisch ihren Reichtum und ihr
Ansehen darzustellen.
Am 14. Januar 1872 gab Landbaumeister Regenbogen seine
Stellungnahme ab. Er war dafür, daß
lediglich ein neuer Schulsaal am Westgiebel in der Fluchtlinie des Schulhauses
gebaut werde. Dann könne das Schulhaus
noch viele Jahre als Wohnung für den Lehrer beibehalten werden. Der Neubau eines Schulhauses würde ca. 2500 Taler kosten. Der Schullehrer sei einsichtig und bereit,
einen Teil seines Gartens für den Anbau abzutreten. Am Westgiebel hätte die Schulstube eine größere Entfernung von
der Straße und allgemein eine freiere Lage.
Die Abtritte für den Lehrer und die Schüler könnten in Verbindung
gebracht werden. Der Anbau am
Westgiebel würde ca. 600 Taler kosten.
Die vier zuständigen Stellen
gaben ihre Einwilligung zum Bau, und so erfolgte am 15. Juni 1872 die Anweisung des Landrats an die
Gemeinde Sichertshausen, mit dem Bau zu beginnen.
Am 1. April 1873 meldete
Stingel dem Landratsamt, wie die Bauarbeiten verakkordiert worden waren:
Zimmerarbeit mit Ludwig Geißler aus Staufenberg Maurerarbeit mit Friedrich
Happel aus Sichertshausen. Er erhält
200 Taler, und die Gemeinde stellt die Materialien. Schreinerarbeit wird von
Johann Heinrich Schneider aus Sichertshausen und Dachdeckerarbeit von Wilhelm
Karle aus Gladenbach geleistet.
Sämtliche Akkorde lagen unter dem Voranschlag. Die Schlosser- und Glaserarbeiten hatte der Schreiner übernommen, die Gemeinde stellte ihm aber Schlösser, Bande, Riegel und Glas. Die abgeschlossenen Verträge besagten, daß die Maßnahmen bis zum 15. Juli fertig sein müssen. Lediglich mit dem Weißbinder war man noch nicht ins Geschäft gekommen. Die Arbeit selbst lief dann auf Beschluß des Gemeindeausschusses so ab, daß alle notwendigen Fuhren von den Einwohnern der Reihe nach getan wurden. Als die Reihe wieder an den Bahnwärter Philipp Will II kam, einen Wagen voll Steine zu holen, erklärte er dem Ortsdiener, er wolle keine Fuhren mehr ausführen, und er bedauere es, überhaupt Material transportiert zu haben. Das ärgerte Stingel, denn Philipp Will II hatte eine der besten Hofweiden im Dorf und einen guten Ackerbau, der von seinem 28jährigen Sohn betrieben wurde. Vater und Sohn waren bei der Bahn beschäftigt. Es ging ihnen gut, und deshalb war der Bürgermeister erbost, daß die beiden sich von der Gemeinschaftsarbeit ausschlossen. Er fragte deshalb den königlichen Landrat, wie er Will bestrafen solle, oder ob er den Wagen voll Steine auf Wills Kosten verakkordieren sollte. Bald kam die Antwort, Will II sei zur Fuhrleistung verpflichtet. Der Bürgermeister solle ihm eine Verakkordierung auf dessen Kosten androhen. Im Falle des Ungehorsams seien die Kosten gerichtlich einzutreiben. - Wir wissen nicht, wie dieser Streit beigelegt wurde. Dann lief alles doch recht zügig ab, und am Sonntag, den 16. November 1873 fand die feierliche kirchliche Einweihung des neuen Schulsaales statt. (1,2)
Einführung des Turnunterrichts
Die schwerwiegenden
Überlegungen im Zusammenhang mit der Verbesserung der räumlichen Schulsituation
überdeckten einen wesentlichen Fortschritt in der Entwicklung der schulischen
Versorgung der Kinder. Am 5. Juni 1871
meldete der Lokalschulinspektor, Pfarrer Franz, dem königlichen Landratsamt in
Marburg: »Der Lehrer in Sichertshausen hat sich bereit erklärt, Turnunterricht
in seiner Schule anzufangen. Er hat
seither schon zweimal wöchentlich auf einem der Gemeinde gehörenden Platze
Freiübungen vorgenommen. Für die
notwendigen Geräte will die Gemeinde sorgen.
Solange es im Freien geht, wird der Unterricht regelmäßig erteilt
werden«. Und einen Monat später meldete
Stingel, daß die Gemeinde den »Leitfaden für den Turnunterricht« in der Oskar
Erhardschen Buchhandlung bestellt habe und nächstens bekommen werde.
Der Turnunterricht wurde bis
zu den Herbstferien ununterbrochen mit wöchentlich zwei Stunden Freiübungen
durchgeführt. Lehrer Hamel erhielt für
diesen Zusatzunterricht monatlich 2 Taler.
Im übrigen hatte er wöchentlich 24 Stunden zu erteilen. An den Freiübungen hatten anfangs 15
Turnschüler teilgenommen, das Interesse war aber sehr groß, und Hamel rechnete
mit einem raschen Wachsen dieser Zahl.
Der Turnplatz wurde von der Gemeinde hergerichtet, Turngerüste (leider
erfahren wir nichts über ihre Beschaffenheit) gebaut und auf den Platz
gestellt. (6)
Am 15. Oktober 1863 wurde Johannes Stingel auf weitere acht Jahre zum Bürgermeister gewählt. Gegen diese Wahl erhoben einige Bürger am 19. Oktober Einspruch mit folgender Begründung: Der Ortsbürger Philipp Will I war nicht geladen worden, obwohl er stimm- und wahlberechtigt war. Die Wahl war zu kurz anberaumt, so daß diejenigen, die die ganze Woche auswärts arbeiteten, nicht erscheinen konnten. Auch der Flurschütz Ruth, der nur ein Gemeindediener sei, war zur Abstimmung zugelassen worden. Der zweite Bürgermeister wohnte der Wahl bei, was nicht passend, wenn nicht gar ungesetzlich war. Die Beschwerdeführer baten, die Wahl zu wiederholen. Ob ihrem Wunsche entsprochen wurde, konnten wir den Akten leider nicht entnehmen. (14)
Entlassung aus dem Untertanenverband
Der Ackermann Johannes
Ludwig Bingel, in Sichertshausen am 14. Mai 1826 geboren, war der Sohn des
verstorbenen Gastwirts und Ökonoms Ludwig Bingel. Er war für den Militärdienst unbrauchbar erklärt worden. Seit dem 13. September 1852 betrieb er seine Entlassung aus dem
Untertanenverband, um sich in Alten-Buseck im Großherzogtum Hessen niederlassen
zu können. Von dort erhielt er am 5.
September 1855 die Nachricht, daß ihm das Ortsbürgerrecht im Großherzogtum
zugesprochen sei. Daraufhin legte
Bingel am 21. September 1855 eine Vermögensliste auf dem Gemeindeamt in
Sichertshausen vor. Er besaß ein von
den Eltern ererbtes Vermögen von 8000 Taler.
Es war angelegt in Obligationen, Handscheinen und Staatspapieren. Ferner bestand es in Herausgift (also im
Erbteil) des Bingelschen Gutes und in Inventar und Geschäft der drei Brüder in
Kompanie. Er wurde wahrscheinlich bald
aus dem Untertanenverband entlassen. (1 6)
Auswanderung nach Amerika
Der Bäckergeselle Johann
Adam Lemmer aus Sichertshausen, geboren 8. März 1836, wollte nach Amerika
auswandern. Um die Entlassung aus dem
Untertanenverband zu erhalten, schrieb der Bürgermeister Stingel für ihn am 8.
Februar 1856 eine Bescheinigung an die kurfürstliche Polizeidirektion in
Marburg. Der 20jährige besitze noch kein
Vermögen.
Die Mutter, die Witwe des
Gotthard Lemmer, sei mit der Auswanderung ihres Sohnes einverstanden, ihr
blieben noch fünf Kinder in Sichertshausen.
Sie wolle auch die Reisekosten bezahlen, indem sie ihm sein Erbteil von
60 Taler, das er nach ihrem Tode bekommen würde, bereits jetzt aushändigen
wolle. Der Bürgermeister bestätigte dem
jungen Manne, daß er sich zu jeder Zeit sittlich gut betragen habe. Er könne der Auswanderung zustimmen. (16)
Arbeitsplätze
Aus einem Bericht Stingels
vom 30. Januar 1864 erfahren wir, daß
Balthasar Gilber-t und Johannes Kraft die Herrschaft noch führten, also daß sie
als Kutscher in Friedelhausen angestellt waren. Der Beisitzer Martin Dietz arbeitete als Taglöhner das ganze Jahr
hindurch beim Baron von Rabenau in Friedelhausen. Er kam nur nachts zum Schlafen nach Hause. Der Bahnwärter
Johannes Lemmer war ständig auf dem Bahnhof in Fronhausen. Er war Beisitzer, seine Frau wohnte mit den
Kindern zur Miete. Stingel war nicht
gut auf Lemmer zu sprechen, denn Lemmer sei ein Streithammel, der sich leicht
von anderen verleiten lasse, Unstimmigkeiten vom Zaune zu brechen. (14)
Gemeindehaushalt
Notizen über die Jahre 1879
bis 1881: Martin Schäfer hatte für das von ihm gepachtete Land »Der große
Strauch« jährlich 15 Mark Pachtgeld an die Gemeinde zu zahlen Das Gemeindehaus
war vom 15. Oktober 1879 bis zum 1.
Februar 1880 nicht vermietet gewesen, die Person Dörr (männlich oder weiblich
ist nicht gesagt) war gestorben. 1 Klafter betrug 3,6 Raummeter, und 1 Klafter
Buchenscheitholz kostete 35 Mark. Da die Gemeinde nicht im Besitz von Wald war,
mußte sie das an den Bürgermeister und den Lehrer zu gewährende Besoldungsholz
von je 1 Klafter bei einer Versteigerung kaufen.
Am 30. März 1881 meldete Stingel
ans Landratsamt: »Im Jahre 1875 sind 45 Mark für eine Abfindung von Raff- und
Leseholzberechtigung von fünf Beisitzern in die Gemeindekasse eingezahlt
worden, und jeder hat seine Zinsen jährlich erhalten. Nur noch zwei dieser Beisitzer sind am Leben«. Nach
landratsamtlicher Verfügung sollten diese 45 Mark als Kapital angelegt
werden. Nun hatte aber die Gemeinde
Grundstücke angekauft, über die ein Gemeindeweg gehen sollte. Sie kosteten über
500 Mark. Stingel fragte, ob er die 45
Mark für diese Finanzierung einsetzen dürfe, denn die beiden Leute würden die
Zinsen aus der Gemeindekasse bekommen, solange sie leben. Die Antwort auf diese Frage haben wir leider
nicht gefunden. (42)
Notizen aus der Kirchenchronik von Treis:
1879/80: Der Winter war sehr
kalt, in Sichertshausen erfror ein Drittel der vorhandenen Obstbäume.
Nov. 1880: In Sichertshausen
wurden 297 Einwohner gezählt, darunter war eine Baptistin.
entstand aus dem Halbe-Gebrauchswald,
den der Staat, die Nutzungsberechtigten und die Gemeinde Sichertshausen
besessen hatten und der seit 1866 von der Oberförsterei Ebsdorf verwaltet
wurde. Zur Gründung der
Interessentenwaldungen kam es hier im mittelhessischen Raume nach der Besetzung
durch Preußen. Seit 1866 erfolgte die
Bewirtschaftung der Wälder durch preußische Beamte, die mit den alten
kurfürstlichen Regelungen absolut nicht einverstanden waren und eine genaue
Abgrenzung zwischen den privaten und den staatlichen Forsten anstrebten. Denn diese Forstbeamten, die vornehmlich aus
dem preußischen Raum kamen, empfanden es als sehr hinderlich, daß hier
jedermann in den Wald gehen konnte und gewisse Rechte hatte, zum Beispiel sein
Vieh hineinzutreiben und Holz und Streu - sprich Laub - in beliebiger Menge zu
entnehmen. Das störte die
Waldbewirtschaftung sehr und erlaubte vor allen Dingen keine genaue Überwachung
der Waldbestände. Deshalb strebten diese
preußischen Beamten danach, eine genaue Trennung zwischen den privaten Wäldern
und dem Staatsforst herbeizuführen. So
entstanden die Interessentenwaldungen. (41)
Um die Teilung des Waldes in
Sichertshausen vorzunehmen, fand am 13. Mai 1870 eine entsprechende Versammlung
und Verhandlung statt. Alle 33
Nutzungsberechtigten erschienen und bestätigten auf dieser Zusammenkunft ihre
Vertreter.
1. Johannes Pfeffer für sich
und Ehefrau Margarethe geb. Bender
2. Heinrich Lauer für sich
und Ehefrau Elisabeth geb. Lepper
3. Heinrich Schwarz für sich
und Ehefrau Marie Elisabeth geb. Schwalb
4. Heinrich Becker für sich
und Ehefrau Catharina geb. Keil
5. Heinrich Bodenbender für
sich und Ehefrau Anna Margarethe geb.
Schneider
6. Jacob Kraft für sich und
Ehefrau Sophie geb. Moos
7. Johannes Kraft
8. Heinrich Will 1 für sich und
Ehefrau Anna Marie geb. Bau
9. Conrad Braun für sich und
Ehefrau Catharina geb. Schwarz
10. Rechtsanwalt Carl Bingel
11. Johannes Gilbert für
sich und Ehefrau Anna Elisabeth geb. Bremer
12. Heinrich Ruth
13. Ludwig Bodenbender für sich
und Ehefrau Anna Margarethe geb. Wagner
14. Conrad Braun als
Bevollmächtigter des Johannes Lemmer und dessen Kinder
15. Johannes Schwarz Witwe
Catharina geb. Wack für sich und als Vormünderin ihrer Kinder
16. Heinrich Findt II für sich
und seine minderjährigen Kinder
17. Johannes Ruppert für
sich und Ehefrau Elisabeth geb. Kraft
18.Caspar Schwarz für sich
und Ehefrau Elisabeth geb. Berner
19. Conrad Gilbert II für
sich und Ehefrau Anna Catharina geb. Zich
20. Conrad Lemmer III für sich
und Ehefrau Marie geb. Heep
21. Caspar Gilbert für sich
und Ehefrau Margarethe geb. Häuser
22. Heinrich Jungermann für
sich und Ehefrau Anna Margarethe geb. Frei
23. Philipp Will II
24. Conrad Gilbert I für
sich und Ehefrau Barbara geb. Greiff
25. Heinrich Bingel
26. Johannes Bingel
27. Heinrich Findt III für
sich und Ehefrau Elisabeth geb. Lepper
28. Balthasar Gilbert II für
sich und Ehefrau Margarethe geb. Heep
29. Conrad Lemmer Witwe Margarethe geb. Simon für sich
und als Vormünderin ihrer Kinder
30. Gotthard Zecher für sich
und Ehefrau Elisabeth geb. Bodenbender
31. Ludwig Geißler für sich
und Ehefrau Catharina geb. Karthäuser
32.Die Schule, vertreten
durch den Lehrer Hamel
33. Christoph Paulus für
sich und Ehefrau Catharina geb. Klinckel
34a. Anna Elisabeth Becker,
vertreten durch ihren Vormund Conrad Lemmer II
34b. Johannes Bierau für
seine Ehefrau Christine geb. Stingel
Zum Vertreter der
politischen Gemeinde wurde der Regierungsassessor Koch aus Marburg bestellt,
als Bevollmächtigte der Nutzungsberechtigten fungierten:
1. der Rechtsanwalt Carl
Bingel aus Fronhausen
2. der Bürgermeister
Johannes Stingel aus Sichertshausen
3. der Nutzungsberechtigte
Gotthard Zecher aus Sichertshausen
Für die Gemeinde und die
Nutzungsberechtigten lautete das Nutzungsrecht auf 50.247 Taler und für den
Staat auf 32.388 Taler. Die
Teilungslinie sollte durch Steine markiert und durch eine Schneise von 1 Rute
Breite festgelegt werden. Das Teilnahmerecht der politischen Gemeinde
Sichertshausen wurde auf eine jährliche Rente von 39 Taler festgestellt. Diese Summe mußten die Nutzungsberechtigten
entsprechend ihren Anteilen an die Gemeindekasse einzahlen. In der Praxis sah es aber so aus, daß das
Deputatholz, also das sogenannte Besoldungsholz für den Nachtwächter, den
Mast-Schweinehirten, den Bürgermeister und den Lehrer aus dem Interessentenwald
geliefert wurde.
Bisher betrug die Fläche des Halbe-Gebrauchswaldes 714 Acker und 101
Ruten. In diesem Walde standen den
Nutzungsberechtigten und der politischen Gemeinde Holz-, Hute-, Mast- und
Streuberechtigungen zu. Sämtliche Bewohner durften ihre Rinder, Schweine,
Schafe und Gänse in unbegrenzter Zahl und zu jeder Jahreszeit in den Wald
treiben. Der Eintrieb hatte allerdings
in Mastjahren während der Vormast (vom ersten Fallen der Eckern und Eicheln bis
Ende Dezember) zu unterbleiben. Die
Vormast wurde im Interesse der Nutznießer und des Staates öffentlich
verpachtet. Die Gänse wurden seit
uralten Zeiten nur in den offenen Huteort »Rothenberg« getrieben.
Sämtliche Bewohner konnten
ihren Bedarf an Waldstreumaterial wie Laub, Heide und Moos frei beziehen,
soweit die Abgabe desselben forstlich zulässig war. Und Leseholz durften sämtliche Bewohner an jedem Montag und Donnerstag
sammeln. Die Nutzungsberechtigten
hatten die Kulturarbeiten auszuführen.
Für das an die Mitbesitzer und die Gemeinde abzugebende Bau- und
Brennholz kassierte der Staat eine feststehende Geldentschädigung. Für den Schutzbeamten erhielt der Staat eine
bestimmte Menge Brennholz (1 Klafter Holz wurde mit 8 Taler veranschlagt). Dem Staat stand allein die Jagdnutzung
zu. Dafür hatte er für die Verwaltung
und den Waldschutz zu sorgen.
Nun sollte die bisher bestehende Gemeinschaft aufgelöst, der Wald geteilt
und die Nutzungsrechte und Verpflichtungen neu geregelt werden. Der
Gemeinschaftswald hatte eine Fläche von 714 Acker. Hinzu kam der Handwerkswald
mit 42 Acker, der dem Staate allein gehörte, aber abgetreten werden sollte, um
eine bessere Plantage zu ermöglichen. Die Teilungsmasse bestand also aus 756
Acker. Der Wert des Gemeinschaftswaldes betrug 82.636 Taler. Der Wert des
Handwerkswaldes betrug 4108 Taler. Der Wert der Teilungsmasse betrug also
86.744 Taler. Der Wert der Teilnahmerechte an der gemeinschaftlichen Waldung wurde
ermittelt auf:
für die Nutzungsberechtigten
und die politische Gemeinde Sichertshausen
49
425 Taler
für den Staat 33.211
Taler
dazu Wert des
Handwerkswaldes 004108 Taler
Summe 86 744 Taler
Nach der ausgeführten
Teilung besaßen die 37 Nutzungsberechtigten Wald in den Forstorten Spieß,
Stangenholz, Rothenberg, Kohlzipfen, Platte, Rothlauf, Ungeheuerbach,
Handwerkswald und Judenkirchhof.
Die Fläche des neu
gebildeten Interessentenwaldes
betrug nach einer Mitteilung der königlichen Regierung in Kassel an den
königlichen Landrat in Marburg vom 10. Oktober 1881 im ganzen 104,5927 ha (100
Kasseler Acker = 23,8653 ha). Der
Interessentenwald wurde dem Verwaltungsbezirk des Oberförsters Schulz in
Roßberg unterstellt. Der Staatswald lag in den Forstorten Hainbach, Spieß,
Stangenholz und Judenkirchhof. Der Staatswald war fortan frei von allen Lasten,
während der Interessentenwald die Leseholzberechtigung der Gemeindeglieder zu befriedigen
hatte.
Jetzt haben wir es hier noch
mit dem Begriff »Heubauer« zu tun, wie die Hausbesitzer genannt wurden, die
Nicht-Interessenten waren und Leseholz sammeln durften. Stingel nannte sie Beisitzer. Eigentliche Beisitzer, die auf Miete wohnten,
gab es nur noch wenige, nämlich einen Schäfer und einen Hirten sowie einzelne
unverehelichte Frauensleute.
Bisher erhielten jährlich
aus der Halbe-Gebrauchswaldung
der Bürgermeister - 1
Klafter Brennholz und 114 Schock Reisholz
der Schullehrer - 1 Klafter
Brennholz
der Nachtwächter - 1 Klafter
Brennholz
der Schweinehirt zu
Mastzeiten - 1/2 Klafter Eichenbrennholz
Nun übernahm die politische
Gemeinde Sichertshausen die Lieferung dieser Holzabgaben. Als Entschädigung dafür und für die ihr
bisher in der Halbe Gebrauchswaldung zustehenden Berechtigungen erhielt sie
eine jährliche feste Geldrente von 39 Taler, die die Nutzungsberechtigten zum
ersten Male am 11. November 1871 in die Gemeindekasse zu zahlen hatten.
Am 27. Juni 1870 trat der Teilungsvertrag in
Kraft. Die Nutzungsberechtigten
übernahmen von diesem Tage an die Verwaltung und den Schutz ihres Waldes, in
dem ihnen jetzt auch die Jagd zustand.
Sie bildeten eine Körperschaft und bewirtschafteten den Wald
gemeinsam. Zunächst lehnten sie es ab,
einen neuen Waldvorstand zu wählen, der Bürgermeister Stingel sollte wie bisher
die Verwaltung behalten. Dann mußten
sie sich aber doch der amtlichen Verfügung beugen und einen eigenen
Waldvorstand wählen.
Statut
für die Verwaltung und
Bewirtschaftung
des Interessentenwaldes
zu Sichertshausen
In Gemäßheit der § 4 und § 5
des Gesetzes über die gemeinschaftlichen Holzungen vom 14. März 1881 wird
folgendes Statut beschlossen:
§ 1
Aus der Zahl der
Miteigentümer des Interessentenwaldes von Sichertshausen wird ein Waldvorstand,
aus drei Personen bestehend, gebildet, von denen einer der Vorsitzende ist.
§2
Der Waldvorstand hat die
sämtlichen Miteigentümer des Interessentenwaldes in allen den Wald betreffenden
Angelegenheiten der Forst- und Aufsichtsbehörde gegenüber und in
vermögensrechtlicher Beziehung auch vor Gericht und außergerichtlich zu
vertreten.
Insbesondere hat derselbe
gemäß der ihm von der Mehrheit der Interessenten zu erteilenden Instruktion
1. auf Anordnung der dazu
berufenen Staatsbehörden die Hauungen und Kulturen im Walde vornehmen zu
lassen,
2. den nötigen Waldschützen
nach Anhörung der Interessentenmehrheit und mit Vorbehalt der Genehmigung der
Forstbehörde zu bestellen, den nötigen Vertrag mit demselben abzuschließen und
dessen Gehalt festzusetzen, wobei bestimmt wird, daß er bei gleicher
Qualifikation einem Waldeigentümer den Vorzug vor anderen Bewerbern zu geben
hat,
3. einen Rechnungsführer für
die Waldkasse zu bestellen und dessen Vergütung und den Betrag der von ihm zu
leistenden Kaution zu bestimmen, 4. die Teilung der Waldnutzungen nach dem
bestehenden Herkommen und den Verkauf der nicht zur Verteilung bestimmten
Waldnutzungen zu besorgen, die Beträge dafür als Einnahme in die Interessentenkasse
einzahlen zu lassen und die Überschüsse der Waldkasse nach Maßgabe der Anteile
jedes einzelnen am Wald unter die Waldeigentümer zu verteilen.
§ 3
Der Vorsitzende des
Waldvorstandes hat die Geschäftsleitung und namens des Vorstandes die
Korrespondenz mit den Behörden zu führen. Der Vorsitzende oder bzw. der
Stellvertreter hat auch die Einnahmen und Ausgaben der Waldkasse anzuweisen.
§
4
Der Rechnungsführer hat dem
Vorstand jährlich Rechnung abzulegen, welche dieser zu prüfen hat. Hierbei wird bestimmt, daß jeder
Waideigentümer zum Zweck einer ordnungsmäßigen Kassenführung verpflichtet ist,
die zur Waldkasse schuldigen Gelder zu zahlen und nicht berechtigt ist, auf
Forderungen an dieselben aufzurechnen.
§ 5
Der Vorstand hat
alljährlich, nachdem der Rechnungsführer die Rechnung gelegt hat, diese zu
prüfen und dann acht Tage lang zur Einsicht der Beteiligten offen zu legen und
nach dieser Offenlegung der Rechnung eine ordentliche Versammlung der
Waldinteressenten zu berufen, in welcher dem Vorstand Decharge erteilt und über
gemeinsame Angelegenheiten Beschluß gefaßt wird. Zu diesem Termin müssen die Interessenten zwei Tage vorher
eingeladen werden.
§ 6
Der Waldvorstand wird von
den Miteigentümern des Interessentenwaldes durch die Versammlung der Interessenten
aus der Zahl derselben auf die Dauer von drei Jahren gewählt. Die Wahl findet mittelst Stimmzettel
statt. Bei der Wahl wird bestimmt, wer
Vorsitzender und wer Stellvertreter sein soll. Der Vorsitzende des
Waldvorstandes ladet die Stimmberechtigten eine Woche vor der Wahl ein. Die Versammlung ist zur Vornahme der Wahl
berechtigt, wenn zwei Drittel der Wahlberechtigten anwesend sind. Ist diese Anzahl nicht erschienen, so hat
der Vorsitzende eine neue Versammlung in ortsüblicher Weise zusammen zu berufen
und ist bei der Einladung ausdrücklich hervorzuheben, daß ohne Rücksicht auf
die Zahl der erschienenen Waldinteressenten die Wahl vorgenommen werde. Diese zweite Versammlung ist ohne Rücksicht
auf die Zahl der Anwesenden zur Vornahme der Wahl berechtigt.
Gewählt gilt in allen Fällen
der, welcher die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten hat. Erhält im ersten Wahlgange niemand diese
Mehrheit, so findet das im § 53 der Landgemeindeordnung vom 4.8.1897 Gemeindevertretungswahlen
bestimmte Verfahren entsprechende Anwendung.
Scheidet ein Mitglied während seiner Amtsdauer aus, z. B. durch Tod, so
wird für den Rest seiner Wahlperiode eine Neuwahl nach den bestehenden
Bestimmungen vorgenommen.
§ 7
Die erste Wahl des
Vorstandes nach Bestätigung dieses Statuts leitet der Bürgermeister, die
folgenden Wahlen muß der in Funktion stehende Vorstand mindestens sechs Wochen
vor Ablauf seiner Wahlperiode zur Ausführung bringen. Sollte dieses nicht möglich sein oder verhindert werden, so hat
wiederum wie im ersten Fall der Bürgermeister die Wahl in ordnungsmäßiger Weise
herbeizuführen.
§ 8
Die Legitimation des nach
diesem Statut gewählten Waldvorstandes wird durch eine unter dem Gemeindesiegel
ausgestellten Bescheinigung des Ortsvorstandes oder seines Beigeordneten
erbracht, daß die betreffenden Personen dem Statut gemäß für die betreffenden
Jahre zum Waldvorstand von den Waldeigentümern zu Sichertshausen gewählt seien.
§ 9
Der Waldvorstand erhält aus
der Interessentenkasse für seine gesamten Bemühungen einschließlich auswärtiger
Geschäfte jährlich 25 Mark.
Sichertshausen am 25. November 1907
Georg Will, Kaspar Schwarz,
Gottfried Will, Ludwig Bingel, Adam Findt, Ludwig Bodenbender, Heinrich Findt
VII, Heinrich Findt VI, Peter Ruppert, Johs.
Bodenbender Witwe, Bernhard Schwarz, Heinrich Geißler, Andreas Hemer,
Konrad Gilbert 111, Ludwig Geißler, Konrad Lemmer, Christina Gilbert Witwe
Daniel Gilbert, Adam Lemmer, Konrad Gilbert, Heinrich Lauer, Christian Wolfel,
Kaspar Hoß, Johannes Becker, Heinrich Lapp, Jacob Zecher, Karl Koch.
Vorstehend unterschriebene
Personen sind Waldteilhaber. Georg Will, Ludwig Bingel, Heinrich Geißler,
Heinrich Lauer, Peter Ruppert und Konrad Lemmer besitzen jeder zwei Anteile,
alle übrigen jeder ein Anteil. Dieses
sowie die eigenhändigen Unterschriften derselben bescheinigt.
Sichertshausen am 25. November 1907
Der Bürgermeister
Geißler
Verzeichnis
der Wald-Interessenten von
Sichertshausen
1 .Georg Will hat 2 Anteile
2. Ludwig Bingel hat 2
Anteile
3. Heinrich Geißler hat 2
Anteile
4.
Heinrich Lauer hat 2 Anteile
5. Peter Ruppert hat 2
Anteile
6. Konrad Lemmer hat 2
Anteile
7. Kaspar Schwarz hat 1
Anteil
8. Gottfried Will hat 1
Anteil
9. Adam Findt hat 1 Anteil
10. Ludwig Bodenbender hat 1
Anteil
11. Heinrich Findt VII hat 1
Anteil
12. Johs. Bodenbender Witwe hat 1 Anteil
13. Bernhard Schwarz hat 1
Anteil
14. Andreas
Hemer hat 1 Anteil
15. Konrad Gilbert III hat 1
Anteil
16. Ludwig Geißler hat 1
Anteil
17. Christian Wolfel hat 1
Anteil
18. Kaspar Hoß hat 1 Anteil
19. Christina Gilbert Witwe
hat 1 Anteil
20. Daniel Gilbert hat 1
Anteil
21. Adam Lemmer hat 1 Anteil
22. Konrad Gilbert 1 hat 1
Anteil
23. Johannes Becker hat 1
Anteil
24. Heinrich Lapp hat 1
Anteil
25. Heinrich Findt VI hat 1
Anteil
26. Jacob Zecher hat 1
Anteil
27. Karl Koch hat 1 Anteil
28. Johs. Lemmer Erben haben 1 Anteil
29. Johs. Gilbert Witwe hat 1 Anteil
30. Heinrich Spaar in
Ruttershausen hat. 1 Anteil
31. die Schule hat 1 Anteil
im ganzen 37 Anteile (19)
Seit Oktober 1872 bis zum
August 1874
zogen sich die Verhandlungen über die Servitutablösung in Sichertshausen
hin. Versammlungen fanden im
Bingelschen Wirtshaus zu Sichertshausen statt.
Vor Gericht wurde geklagt, und Versammlungslokal war das Ruth'sche Wirtshaus
zu Fronhausen. Schließlich kam es zu
folgender Vereinbarung:
Rezeß
in der Ablösungssache von
Sichertshausen
Einleitung
In der im landrätlichen Kreise Marburg im Regierungsbezirke Kassel gelegenen Gemeinde Sichertshausen wurde in Folge eines unterm 27. Januar 1871 seitens der königlichen Regierung zu Kassel, Abteilung für direkte Steuern, Domänen und Forsten gestellten Antrages auf Ablösung der den nicht nutzungsberechtigten Einwohnern zu Sichertshausen im bisherigen dortigen Mitgebrauchswald und dem Staatswalddistrikt »Handwerkswald« zustehenden Weide-, Raff- und Leseholzberechtigungen und der sämtlichen Einwohnern und Nutzungsberechtigten zu Sichertshausen zustehenden Leseholzgerechtsame im Staatswalddistrikt »Heckersberg", nachdem die Nutzungsberechtigten zu Sichertshausen sich dem Antrag angeschlossen hatten, das betreffende Verfahren eingeleitet. Über die dadurch bewirkte Auseinandersetzung wird zwischen den folgenden Teilnehmern:
1. dem Staat, vertreten
durch die königliche Regierung, Abteilung für direkte Steuern, Domänen und
Forsten zu Kassel,
2. der Gesamtheit der im § 4
sub II namentlich aufgeführten Nutzungsberechtigten zu Sichertshausen,
vertreten durch ihre Deputierten
Rechtsanwalt Bingel zu
Fronhausen
Bürgermeister Johannes Stingel
und
Gotthard Zecher zu
Sichertshausen,
3. der Gesamtheit der im § 4
sub III namentlich aufgeführten nicht nutzungsberechtigten Grundbesitzer zu
Sichertshausen, vertreten durch ihre Deputierten:
Conrad Lemmer II
Martin Dietz und
Heinrich Matthäi
von Sichertshausen und
4. der politischen Gemeinde
Sichertshausen, vertreten durch den Kreissekretär der nachstehende Rezeß
errichtet.
Weitere Beteiligte haben
sich der durch zweimalige Einrückung in die Hessische Morgenzeitung und den
öffentlichen Anzeiger des Amtsblattes der Königlichen Regierung zu Kassel
erfolgter öffentlicher Bekanntmachung der Sache ungeachtet nicht gemeldet.
§ 1 Verhältnisse vor der
Auseinandersetzung
Die Nutzungsberechtigten zu
Sichertshausen sind durch am 7. Oktober 1870 von der Königlichen Regierung
bestätigten, zwischen ihnen und der letzteren abgeschlossenen Rezeß vom
27. Januar 1870 in den eigentümlichen
Besitz einer Fläche von 104,8925 Hektare des früheren halben Gebrauchswaldes
getreten und haben damit die Verpflichtung übernommen, die nicht
nutzungsberechtigten Einwohner zu Sichertshausen für die denselben zustehende
Weide-, Raff- und Leseholz-Gerechtsame in dem Teil des früheren
Mitgebrauchswaldes, weicher dem Staate als eigentümlicher Besitz und
servitutfrei überwiesen wurde und für die denselben zustehenden
Leseholzberechtigung in dem der besseren Planlage wegen in die Abfindung der
Nutzungsberechtigten gefallenen früheren Staatswalddistrikt »Handwerkswald« zu
entschädigen. Außerdem stand bisher
sämtlichen Einwohnern und Nutzungsberechtigten zu Sichertshausen die
Leseholzberechtigung in dem 9,4268 Hektar großen Staatswalddistrikt
»Heckersberg« zu.
§ 2 Zwecke der
Auseinandersetzung
Zwecke der
Auseinandersetzung sind:
1. Ablösung der den nicht
nutzungsberechtigten Einwohnern zu Sichertshausen zustehenden Berechtigungen:
a) zur Weide mit Schweinen
in dem ganzen früheren halben Gebrauchswald Nr. 877, 964 und 1111 des Katasters
von Sichertshausen, nämlich:
Forstort Hainbach Nr. 1 der
Forstkarte 62 Ar 91 Quadratruten
Forstort Spieß Nr. 2 der
Forstkarte 102 Ar 11 Quadratruten
Forstort Stangenholz Nr. 4
der Forstkarte 170 Ar 29 Quadratruten
Forstort Rothenberg Nr. 5
der Forstkarte 55 Ar 53 Quadratruten
Forstort Kohlzipfen Nr. 6
der Forstkarte 28 Ar 145 Quadratruten
Forstort Platte Nr. 7 der
Forstkarte 48 Ar 102 Quadratruten
Forstort Rothlauf Nr. 8 der
Forstkarte 61 Ar 1 19 Quadratruten
Forstort Ungeheuerbach Nr. 9
der Forstkarte 99 Ar 64 Quadratruten
Forstort Judenkirchhof Nr. 1
1 der Forstkarte 85 Ar 69 Quadratruten
zusammen: 714 Ar 1 0 1
Quadratruten oder 170,5586 Hektar, sowie
b) zur Leseholznutzung in
dem früheren Staatswalddistrikt »Handwerkswald«.
2. Ablösung der den
sämtlichen Einwohnern und Nutzungsberechtigten zu Sichertshausen zustehenden
Leseholzberechtigung im Staatswalddistrikt »Heckersberg" 39 Ar 75
Quadratruten oder 9,4205 Hektar groß - durch den Staat.
§ 3 Ablösung - Abfindung
Die im § 2 sub 1 und 2
genannten Berechtigungen haben mit dem 1. Januar 1873 für immer aufgehört. Als Abfindung für den Wegfall dieser
Berechtigungen sind folgende Entschädigungen gezahlt worden:
1. von den
Nutzungsberechtigten zu Sichertshausen
a) an die im § 4 sub 3
namentlich aufgeführten 17, nicht nutzungsberechtigten Grundbesitzer zu
Sichertshausen 250 Taler zu gleichen Teilen und
b) an die Gemeindekasse für
die fünf, zur Zeit der Vollziehung dieses Rezesses in Sichertshausen wohnenden
Einlieger, nämlich:
1. Heinrich Schäfer
2. Elisabeth Will
3. Adam Lemmers Witwe
4. Johann Schäfer Ehefrau
5. Catharina Dörr
42 Taler 15 Silbergroschen
2. vom Staat an sämtliche
Einwohner und Nutzungsberechtigten sowie die Gemeindekasse (wiederum für die
fünf sub 1 genannten Einlieger) an Kapital und Verzugszinsen 36 Taler 23
Silbergroschen 3 Pfennig, und zwar zu 34 Teilen an die, Nutzungsberechtigten,
zu 17 Anteilen an die nicht nutzungsberechtigten Grundbesitzer und zu fünf
Anteilen an die Gemeindekasse. Die an
die Gemeindekasse gezahlten Beträge sind verzinslich angelegt worden und steht
der Genuß der Zinsen den fünf sub 1 genannten Einliegern für ihre Lebensdauer
zu, während derselbe nach dem Ableben derselben der Gemeindekasse verbleibt.
§ 4 Verteilung der Abfindung
(§ 3) und Quittung
Die Zahlungen, welche demgemäß
die verschiedenen Teilhaber geleistet und empfangen haben und über welche
dieselben durch Vollziehung dieses Regresses quittieren, sowie das
Teilnahmeverhältnis derselben ergeben sich aus den bei ihrem Namen aufgeführten
Beträgen in nachfolgender Zusammenstellung (56)
Hier noch ein Bild der Flurgemarkung Sichertshausen, deren Jahreszahl allerdings nicht genau bekannt ist, ein Bild des Interessentenwaldes von 1870 und ein Bild der Holzmacher-Rotte um 1950.